: Die unmerkliche Durchhirschung des Lebens
Das Kölner Museum für verwandte Kunst präsentiert Absonderliches aus deutschen Wohnwelten: eine Ausstellung der anderen Art – zwischen Sammelwut und Kreativität, zwischen Augenzwinkern und echten musealen (Ge-)Weihen
Der Hirsch ist überall. Einfach überall. Denn er ist wieder da, der röhrende Schutzpatron aller Spießbürger, dessen Heiligenbilder früher großformatig über dem Sofa hingen. Er ist wieder da und er ist Kult: als ironisches Zitat auf T-Shirts und Tapeten, Postkarten und Partyflyern.
Seit einiger Zeit liege der Hirsch schon in der Luft, finden auch Katrin Bergmann und Stephan Brenn vom Kölner „Museum für verwandte Kunst“. Und darum verhelfen sie dem lang verschmähten Rotwild nun zu neuem Ansehen: In der Eröffnungsausstellung ihres neuen Kölner Souterrain-Museums dreht sich alles um den Hirsch.
Vor etwa 18 Monaten fingen die beiden Künstler an, auf Flohmärkten und anderswo nach dem Hirsch zu fahnden und stießen schnell auf jede Menge Absonderliches aus deutschen Wohnwelten: An den Wänden des Museums hängen Hirschbilder in Ministeck, Wetterstationen mit riesigen Hirschreliefs und einäugige Hirschzyklopen in Plüsch. Auch eine Kuckucksuhr mit Geweih findet sich, wohl damit das Rotwild weiß, was die Stunde geschlagen hat, wenn es sich aus Versehen zum „Urlaubsschießen“ verirrt – ein Erinnerungsfoto belegt fröhliche Mordlust. Es sei interessant, wie viele Menschen beim Thema „Hirsch“ sofort an Jagd und Niedermachen dächten, sagt Katrin Bergmann. Oder aber an Kraft und Natur. Ein Bild, auf dem ein Hirsch den Kölner Dom anröhrt – das steht für Heimatliebe in höchster Potenz, für tierischen Patriotismus, der Fall ist klar.
Doch es geht nicht nur um das Sammeln skurriler Raritäten. Das „Museum für verwandte Kunst“ versteht sich auch als Produzentengalerie und zeigt, was die Betreiber aus der Wild-Vorlage so alles machen können. Katrin Bergmann fertigt „Platzhirsche“: bunte Hirschköpfe aus Fimo-Patchwork, die prominente Namen tragen, wie Prince, Günter Grass, Robert Lemke. Cary Grant leuchtet sogar im Dunkeln.
Stephan Brenns Spezialität sind Collagen und kleine Kunstwerke aus Alltagsgegenständen: „Hirschfänger“ heißt ein Gobelinbild, in dem ein Messer steckt, „Großstadtrevier“ eine zum Geweih gebogene Gabel. Auch eine Kneifzange, umgekehrt aufgehängt, sieht wie eine Jagdtrophäe aus. Hier lernt man etwas über den Hirsch in der freien Wildbahn, über die unmerkliche Durchhirschung des täglichen Lebens, in dem das stolze Hörnertier seinen festen Platz hat, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Heißt nicht jeder zweite Pillenkiosk „Hirsch-Apotheke“? Und lassen sich nicht hippe junge Frauen mit „Arschgeweih“-Tattoo den Hirsch direkt in den Körper stechen? Angesichts von so viel hirschiger Omnipräsenz ist eine künstlerische Behandlung des Themas nur konsequent. Wer will, kann den Hirsch auch mitnehmen: Der Museumsshop bietet Hirschgläser, Hirschsocken und „Platzhirsch“-T-Shirts, die reißenden Absatz finden.
Eine Ausstellung der anderen Art: zwischen Sammelwut und viel Kreativität, zwischen ironischem Augenzwinkern und echten musealen (Ge-)Weihen. Sehr zu empfehlen in einer Zeit, in der die Platzhirsche wieder besonders laut in die Welt hinein röhren. Holger Möhlmann
„Hirsch und Heute“, Museum für verwandte Kunst, Genter Straße 6 in Köln, Do-So 14.30-18.30 Uhr, bis 1.11.
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