: Feiern, die dunkle Seite
Malen nach Zahlen für Disco-Gaukler: Der DJ und Techno-Produzent Justus Köhncke startet in der Galerie Cinzia Friedlaender in eine neue Karriere als bildender Künstler, lässt aber Humor vermissen
VON KITO NEDO
Es war ein Sommerabend voller sublimer Schönheit, als der Techno-Produzent und DJ Justus Köhncke vor anderthalb Jahren im kleinen Glaspavillion an der Volksbühne das Video zu seinem Track „Timecode“ präsentierte. Im 2004 hergestellten Film ziehen zu einem schwerelosen Shuffle-Beat Wolken im Zeitraffer über die Dächer einer nicht näher definierten Stadt. Die in Sekundenbruchteilen wechselnde Lichtstimmung verleiht dem Fensterblick die Ahnung von erhabener Naturgewalt, während das nächtliche Glimmen von Bürolicht im Officetower am Horizont die Schlaflosigkeit des urbanen Lebens feiert. Ein- oder zweimal wurde das Video gezeigt, und bevor sich alle Anwesendem wieder ihren Getränken und den Gesprächen widmeten, erklärte Köhncke auf sehr unprätentiöse Art, wie er den Film produziert hatte: nämlich indem er ein ganzes Wochenende lang alle 15 Sekunden ein Foto mit seiner Digitalkamera aus dem Fenster seiner Kölner Wohnung gemacht hatte. „Zu dieser Musik“ notierte damals Rainald Goetz in seinem Klage-Blog, „sind schon so viele Leute wahnsinnig glücklich gewesen, das hört man sofort, das hat noch einmal auf die Musik zurückgewirkt, der MDMA-Zauber, den sie mitausgelöst hat bei den Tänzern, ist in die Musik selbst wieder zurückgekehrt als eine Art spirituelle Zusatzboost, der die Leute hier jetzt auf die typisch nachtlebenhaft diskrete Art erfreute.“
Verweise auf das Nachtleben, die Musik und die Drogen fehlen auch in der ersten Einzelausstellung Köhnckes in der relativ neuen Rolle als bildender Künstler in der Tiergarten-Galerie von Cinzia Friedlaender nicht. Doch die große Leichtigkeit, die dem Juni-Abend damals im Pavillon innewohnte, ist verschwunden. Der Booster wirkt ausgebrannt. Schon der Titel der Ausstellung „I will survive“ betont die eher dunkle Seite der Feierkultur, den Moment, an dem sich unter den Zauber des Ecstasy mit seinem Wirkstoff MDMA die ersten Grauschlieren mischen. Es ist vor allem die Materialität der gezeigten Arbeiten, die diesen Eindruck vermitteln. Neben mittelformatigen Zeichnungen mit schwarzer Plakatfarbe auf Zeichenkarton ist es eine massive, schnörkellose Stahl- und Glasvitrine, die im Raum der Galerie alle Neugierde auf sich zieht. Wie in Paraphrase einer Fluxus-Installation hat Köhncke hier ein in Bronze gegossenes Seil, eine Pillendose des HIV-Medikaments Truvada sowie drei digitale Fotorahmen installiert, über die unablässig digitale Schnappschüsse aus dem „postfordistischen Boheme-Leben des fahrenden Disco-Gauklers“ flimmern: Momente in einer schummrigen Bar, die Lichter eines Spielautomaten und die Trümmer eines Gebäudes, bei dem es sich – laut Ausstellungsinformation – um die Ruinen einer Bank handelt.
Das dunkle Flair zieht sich auch durch die Zeichnungen an den Wänden: „Wer sich nicht freut, wird erschossen“, ist da zu lesen, andere Blätter zeigen Musiker in Studiosituationen, etwa Paul McCartney und Ringo Starr von den Beatles an einem riesigen Mischpult. Bei der Herstellung der Bilder ging Köhncke vor wie bei „Malen nach Zahlen“: Im Internet vorgefundene Fotografien wurden auf ein Blatt projiziert und anschließend die dunklen Flächen mit Pinsel und Plakatfarbe nachgezogen. Diese Technik des Abpausens, so gab der Produzent einmal zu Protokoll, verwende er auch bei der Produktion seiner berühmten Coverversionen, indem er „jedes Furz-Detail“ des Originals mit dem „eigenen Instrumentarium“ nachspiele.
Nur in der sechsundzwanzigteiligen Fotofolge „Der Kakadu“ (2009) die auf einem weiteren Minimonitor zu sehen ist, blitzt der Humor des Produzenten auf. Wer sieht, wie ein exotischer Vogel in einem Bahnhofsrestaurant dazu dient, Touristen anzulocken, der begreift, dass es Köhncke nicht um eine verführerische Präsentation ging, sondern um eine Ausstellung über die Produktion der Verführung selbst.
Justus Köhncke: „I will survive“, bis 7. 3. in der Galerie Cinzia Friedlaender, Potsdamer Str. 105, Do–Sa 14–18 Uhr
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