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szenenapplaus: der systemkritische Schuster

Der Schuster, den ich meine, betreibt ein Eckgeschäft. Unsere lose zu nennende Verbindung besteht darin, dass er dieselbe verchromte Warmhalte-Kaffeekanne besitzt wie ich. Ein Modell für einen Liter. Seine ist, wie seine Glatze, immer auf Hochglanz poliert, wie sich das für einen Schuster gehört. Auf meiner Warmhaltestelle dagegen ergeben die Kalkflecken eine Landkarte eines durch die Welt tropfenden Wasserhahnes.

Ähnlich sieht es mit meinen Schuhen aus. Um seine auf einem Bistrotisch drapierte Kanne stehen meistens drei ältere Herren, die sich aufstützen oder sich lässig mit verschränkten Armen präsentieren und mit ihren super blankgeputzten Schuhen den Kunden ein Vorbild sein sollen, was Pflege und gute Laune des Im-vollen-Leder-Stehens angeht. Außerdem bildet diese betagte Männergruppe ein Forum oder Tribunal, vor dem sich manche Belehrung abspielt.

Denn der Schuster nimmt nicht jeden Schuh zur Reparatur. Kommt man beispielsweise mit einem 125 Euro, wie ich finde, teuren Exemplar vorbei, bei dem die Ledersohle in Vorbeugehaft mit einer Gummisohle geschützt werden soll, so fällt dem Schuster dazu nur ein, dass „diese Marke ja schon seit Jahren, nein, da gehen Sie am besten zum Hersteller und beschweren sich gleich dort, wenn ich das mache, da habe ich nur Ärger damit. Die neuen Schuhe, das taugt doch alles nix. Ich hätte ja auch damals exklusiv für Lloyd arbeiten können, aber deren Qualität, nee, die sind auch nicht mehr, was sie früher waren. Die fingen ja an, neue Schuhe mit unbrauchbaren Sohlen auszuliefern, die man nach einer Woche mit einer Gummisohle belegen muss. Also, wenn Sie mich fragen: nur noch rahmengenähte, wie dieser Schuh, den Sie da anhaben. Aber da sehe ich, da hat doch jemand im Hacken das Leder schlecht verklebt. Auch hinüber!“

Auch meine anderen „Billigschuhe“, die mir wegen des orignellen Designs ans Herz gewachsen waren, wollte er nicht reparieren. „Die Sohle, die ich da drauf machen müsste, die wäre so dick und unflexibel, die würde dann nach zwei Wochen brechen. Schmeißen Sie die gleich weg!“ Selbst bei den saloppen halbhohen Modellen war nix zu machen. Die Sohle runter, schief abgelaufen, Senkspreizfuß on the rocks: „Also, ich will mal so sagen, die Reparatur kostet, schätz‘ ich mal, 80 Euro. Wenn Sie noch was drauflegen, kriegen Sie Neue!“ Danach lässt der Kunde in mir ein Loch in den Gürtel stanzen, damit man diesen enger schnallen kann, wünscht auch in Richtung des grinsenden Fachpublikums weiterhin einen „Guten Tag!“ und stapft mit einem Koffer madig gemachter Schuhe, die man nun auch nicht mehr leiden mag, nach Hause. Dort überlegt man sich, ob man den Schuster wechselt, oder den Koffer nach Berlin schickt, wo man bereits einen anderen stehen hat. Carsten Klook

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