: Der panische Philosemitismus
Der Antisemitismus-Vorwurf prägt, von Walser über Möllemann bis Honderich,die Debatten. Dient das der Aufklärung? Oder regiert hier die Logik des Skandals? (2)
Kleine Erinnerung daran, was bisher geschah. Micha Brumlik hatte Ted Honderich gelesen, der im Rahmen der Philosophie des „guten Lebens“ palästinensische Terroranschläge gegen israelische Zivilisten in Ordnung gefunden hatte. Empört über dessen „antisemitischen Antizionismus“ verlangte Brumlik, der Suhrkamp Verlag müsse das Buch zurückziehen, nicht zuletzt seiner vielen jüdischen Autoren wegen. Und siehe da, mit größter Beflissenheit zieht der Verlag das Buch, das seine Lektoren offenbar kaum gelesen hatten, zurück. Bei der renommierten Columbia University Press in New York – also inmitten eines jüdischen intellektuellen Milieus – wird das Buch hingegen weiter verlegt.
Nun ist es das gute Recht meines Freundes Micha Brumlik, sich über Honderich aufzuregen. Was dieser über Israel und Palästina schreibt, ist grobschlächtig und menschenverachtend. Doch Honderichs Thesen fehlen, wie Habermas zu Recht bemerkte, die typischen Elemente des Antisemitismus. Der Debatte mangelt es an Augenmaß. Hätte Honderich ähnlich über Russen und Tschetschenen geschrieben, kaum jemand hätte es aufgeregt.
Namhafte deutsche Intellektuelle machten sich Brumliks Antisemitismusvorwurf dennoch zu Eigen. Einem griechischen Chor gleich erklärten sie die Sache zum „Skandal“, diagnostizierten beiläufigen und programmatischen Antisemitismus und schrieben über moralische Wahnsysteme und fröhlichen Antiamerikanismus. Dies ist derselbe griechische Chor der Gerechten, nur diesmal mit gelichteten Reihen aufgrund der Urlaubszeit, der stets reflexartig in Erscheinung tritt: bei Goldhagen, Walser I, Möllemann, Walser II. Stets wird mit großem stilistischem Aufwand feierlich die jeweils eingetretene fundamentale Epochenwende diagnostiziert.
In panischem Philosemitismus stellt man sich vermutlich vor, was der Zentralrat der Juden zu diesem oder jenem sagen würde, und macht sich diese Vorstellungen, jüdisch affiziert, zu Eigen. Was dabei freilich zumeist herauskommt, ist auf Israel bezogen unendlich monoton – und ähnelt eher einer Rechtfertigung der Politik von Ariel Scharon. Weshalb hört man in Deutschland eigentlich so wenig auf die israelische Friedensbewegung? Warum versucht man nicht, sie stärker zu unterstützen?
Die Debatte, die das Honderich-Buch hätte auslösen können, wurde hastig abgeblockt. Nur Israelis scheint hierzulande erlaubt zu sein, über die „Jahrzehnte währende Okkupation und die systematische Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung“ (Moshe Zuckermann) zu reden. Hier liegt durchaus ein legitimer Kern in der ansonsten gruseligen Forderung „Es muss doch in diesem Lande wieder möglich sein …“
Wie steht es nun aber in Deutschland mit der Gefahr des Antisemitismus? Antisemitismus als Rassenhass, als kollektiver Hass auf Juden und die ihnen zugeschriebenen, verabscheuungswürdigen Attribute, ausgedrückt in direkter Rede bis hin zu physischer Gewalt und Unterdrückung der Rechte einer Minderheit? Keine Frage: Antisemitismus ist keine Einbildung. Was von meschuggenen Zeitgenossen vom Schlage Horst Mahlers produziert wird, ist antisemitisch tout court; antisemitisch ist selbstredend auch, wenn Skinheads einen zum Juden deklarierten Kumpanen im Suff totschlagen oder die Lübecker Synagoge anzünden. Dagegen ist es hoch problematisch, aber nicht antisemitisch, wenn Norbert Blüm vom „hemmungslosen Vernichtungskrieg“ Israels spricht. Es ist auch kein Antisemitismus, wenn Walser einen mit jüdischen Stereotypen ausgestatteten Roman voller Rachegelüste gegen Reich-Ranicki schreibt.
Etwas anderes waren die Aktionen von Möllemann. Man mag sich streiten, ob seine Äußerungen antisemitisch waren – fest steht, dass sowohl er wie die Westerwelle-FDP zynisch auf Wählerstimmen aus diesem Milieu spekuliert hatten. Dies war in der Tat ein präzedenzloser Skandal, denn keine der großen Parteien in der Bundesrepublik hat jemals versucht, mit Antisemitismus Wahlen zu gewinnen. Die Tatsache, dass die Rechnung der FDP nicht aufging, beweist freilich, dass dieses Wählerpotenzial so schlicht nicht vorhanden war.
Michel Friedman, Möllemanns Widerpart wiederum, auch er kein feinsinniger, zurückgezogener Zeitgenosse, blieb in seiner eigenen Affäre eine Kampagne mit antisemitischen Untertönen erspart. Verglichen mit anderen Affären – man denke an Rudolf Scharping – ist Friedman eher glimpflich davongekommen.
Nun hat Ignatz Bubis in immer offeneren antisemitischen Attacken, vor allem in Briefen, ein Indiz für wachsenden Antisemitismus gesehen. Die Schreiber, so Bubis damals, scheuten sich nicht einmal mehr, ihre Briefe mit Namen und Adresse zu unterschreiben. Doch auch hier sollte man vorsichtig sein. Gerade mit Bubis ist der Zentralrat der Juden zu einer weit wirksameren, bekannteren Institution geworden – und es ist nicht überraschend, dass diese öffentliche Präsenz den antisemitischen Bodensatz in der Gesellschaft aktiviert.
Das Bild ist also vermischt. Dazu gehört der inflationäre Gebrauch des Wortes Antisemitismus – und die Existenz des beständigen antisemitischen Bodensatzes. Umfragen zeigen, dass etwa 15 Prozent der Deutschen Antisemiten sind – eine Zahl, die wir ähnlich aus dem liberalen, multikulturellen Kanada und den USA kennen. Behalten wir also diese Proportionen im Auge.
Der gefährlichere Rassismus in Deutschland richtet sich nicht gegen Juden, sondern gegen Einwanderer vor allem anderer Hautfarbe. Man denke an die Pogrome von Mölln und Solingen, an Attacken gegen Afrikaner in den „national befreiten Zonen“, an Proteste gegen den Bau von Moscheen und die doppelte Staatsangehörigkeit, man denke an die massive Arbeitslosigkeit von Migranten, an Ghettoschulen schlechtester Qualität und schließlich die Kampagne gegen das Kopftuch. Können wir uns vorstellen, einem jüdischen Lehrer würde untersagt, in der Schule eine Kippa zu tragen? Der Rassismus in Deutschland trifft heutzutage andere.
Salomon Korn hat in der Beziehung der Deutschen zu jüdischen Deutschen treffend ein „Unbehagen“ analysiert. Ausdruck dieses Unbehagens ist – siehe Walsers jüdische Figuren – das penetrante Spiel mit jüdischen Stereotypen. Eine andere Art, dieses Unbehagen auszudrücken, ist der panischen Philosemitismus. Ohne viel von Juden und Judentum zu verstehen, wird in übersteigerter Mimikry versucht, jüdische Positionen jüdischer als jüdisch darzustellen. Doch das Unbehagen ist wechselseitig; auch die meisten Juden in Deutschland verspüren aus bekannten Gründen ein Unbehagen gegenüber Deutschen. Dieses wechselseitige Unbehagen macht auch dieses sommerliche Intermezzo möglich – die Honderich-Debatte, die nie zu einer Debatte geworden ist.
Y. MICHAL BODEMANN
Der erste Beitrag der Reihe von Rafael Seligmann erschien am 29. 8. Die Debatte wird fortgesetzt.
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