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Siamesische Zwillinge

Kein Ende der Talfahrt: Auf der IFA fordern Deutschlands Plattenbosse eine Allianz mit den Geräte-Herstellern

BERLIN taz ■ Es war kein schöner, dafür aber umso seltenerer Anblick: Die führenden Köpfe der deutschen Musikindustrie, auf der Internationalen Funkausstellung (IFA) unter dem Motto „Die Musik macht’s“ zum Gespräch versammelt. Ausgerechnet auf der IFA, wo vom CD-Brenner bis zum MP3-Player genau jene Geräte bestaunt werden, die der Tonträgerindustrie immer mehr das Wasser abgraben.

„Wir haben die Talsohle noch nicht erreicht“, klagte denn auch Gerd Gebhardt, Vorsitzender der deutschen Phonoverbände. Nachdem die Branche in den späten Achtzigern zunächst von der Einführung der CD profitiert hatte, wurde zwar nach Sättigung des Marktes mit einer konjunkturellen „Delle“ gerechnet – nicht aber mit einem spektakulären Einbruch, der die Industrie inzwischen auf den Stand von 1990 zurückgeworfen hat. „Wir haben 13 Jahre verloren“, so Gebhardt. 2003 werde die Branche einen Umsatz von 1,7 Milliarden Euro erzielen. Wäre die raubkopierte Musik regulär im Plattenladen gekauft worden, müssten es 5 Milliarden sein. Allein der Umsatz der Bertelsmann-Musiksparte BMG schrumpfte im Vergleich zum Vorjahr um knapp sieben Prozent auf 1,09 Milliarden Euro.

Deshalb gelte es nun, den grassierenden Raub geistigen Eigentums zu stoppen, denn: „Die Geräte ermöglichen das Abspielen, aber auch die Sicherung der enthaltenen Musik. Ohne Künstler, die von ihrer Kreativität leben können, kann keine Musik produziert werden. Und ohne Geräte kann die Musik nicht gehört werden“, so Gebhardt in seinem Appell. Musikwirtschaft und Geräteindustrie seien „wie siamesische Zwillinge: Keiner kann ohne den anderen“. Im Klartext: die Hersteller sollen gefälligst Geräte auf den Markt bringen, die das Abspielen illegaler „Klone“ unmöglich machen.

Weil Vertrauen in den Zwilling gut ist, Kontrolle aber besser, haben sich die Plattenbosse inzwischen auf eine gemeinsame Internet-Plattform zum Online-Verkauf von Musik geeinigt: „Phonoline“ soll das Repertoire der beteiligten Firmen beherbergen und im Herbst endlich starten. Ein Vertriebsweg, der nach Einschätzung Gebhardts künftig 20 bis 30 Prozent des Umsatzes ausmachen könnte.

Bis dahin, so die einhellige Meinung, sollten auch die juristischen Bedingungen geändert sein. Gebhardt begrüßte die Novelle des Urheberrechtes als „Marktordnungsrecht der Kreativen“. Ohne einen Dreiklang aus „effektiven Schutzsystemen, wirksamem Rechtsrahmen und vollkompatiblen Abspielgeräten“ würde die Verwertungskette reißen. Einziger Lichtblick scheint die Musik-DVD zu sein, die der CD immer mehr den Rang abläuft – ohne sie ersetzen zu können.

Über deutliche Gewinne konnte übrigens nach dem Ende der Messe der Marktführer Sony jubeln – allerdings nicht die Plattenfirma Sony Music, sondern der Gerätehersteller aus gleichem Hause. FRA

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