ariberts socken von RALF SOTSCHECK:
Dann sprach jemand von Socken. Aribert horchte auf. „Socken? Davon verstehe ich etwas“, rief er. Er besitze 60 Paar, und er achte beim Sockenkauf besonders auf die feinen Nähte. Er lasse niemand anderen seine Socken waschen, denn dabei könne man vieles falsch machen. „Manche Leute stopfen die Socken in den Wäschetrockner oder hängen sie gar draußen zum Trocknen auf“, bemerkte er verstört: „Es sind doch keine Freilandsocken. Socken gehören ins Haus!“
Bei der Vorstellung, dass jemand Wäscheklammern benutzen könnte, bekam er eine Gänsehaut: „Der Klammerabdruck in den Socken ist doch ekelhaft.“ Aus demselben Grund benutze er keine Sockenclips, um die Paare zusammenzuhalten. „Ich sortiere meine Socken bei hellem Tageslicht“, sagte er, „denn wenn du einmal einen Fehler machst, bekommst du es nie mehr richtig hin. Das Glück der Unterhose ist es, kein Pärchen zu sein. Eine Socke hingegen ist nie alleine.“
Der Abend hatte eigentlich recht konventionell mit einem Essen begonnen. Doch dann ritt Astrid und Áine der Teufel. Aribert war vor Kurzem von seiner zweiten Frau geschieden worden und war nun wieder mit seiner ersten Frau Marion zusammen, die fast zur selben Zeit von ihrem zweiten Mann geschieden worden war. Aribert und Marion hatten sich 30 Jahre lang nicht gesehen, denn sie lebt in Amsterdam. Nun soll sie zu Aribert an die irische Westküste ziehen.
Ob Marion denn ihre Möbel mitbringen dürfe, fragten Astrid und Áine scheinheilig, denn Aribert ist recht penibel, wenn es um sein Haus geht. „Möbel? In mein Haus?“, rief Aribert entsetzt und machte ein Gesicht, als habe man vorgeschlagen, das Bernsteinzimmer mit Raufaser zu tapezieren. Ebenso abwegig fand er die Vorstellung, Marion könnte gestreifte Zahnpasta mit in die Beziehung bringen. „Gestreifte Zahnpasta bekommt beim Ausquetschen einen falschen Drall“, erklärte er und öffnete sicherheitshalber noch eine Flasche Wein. „Die grün-weiß-roten Sektoren müssen sich ja drallen. Nur weiße Zahnpasta ist richtig!“ Aber teilen würde er sie nicht. „Das gibt nur Probleme“, meinte er und fügte ominös hinzu, sein Großonkel habe sich stets die Zähne mit der Asche seiner Havanna geputzt.
Unsere kleine Dinnerrunde hatte sich inzwischen auch äußerlich dem Niveau der Unterhaltung angepasst: Alle trugen bunte Papierkronen aus den Knallbonbons, die noch von Weihnachten übrig gewesen waren. Unweigerlich kam das Gespräch wieder auf Socken. „Ein Mann in Unterhose und Socken ist ein Graus“, sagte Aribert. „Stell dir mal vor, wenn Christus mit Socken ans Kreuz genagelt worden wäre. Wie das ausgesehen hätte!“
Wolfgang, der bisher wenig zur Unterhaltung beigetragen, sondern sich dem Wein gewidmet hatte, begann zur Melodie eines bekannten Schlagers zu singen: „Rote Socken soll man küssen, denn zum Küssen sind sie da.“ Damit war der Tiefpunkt des Abends erreicht. Irgendwann war Aribert verschwunden. Er sei nach Hause gegangen, erklärte er am nächsten Tag, weil er zu betrunken war. Vor dem Schlafengehen müsse er allerdings noch seine Socken aufgehängt haben, denn am nächsten Morgen hingen sie alle fein säuberlich am Wäscheständer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen