: Die Zukunft sieht alt aus
Der Sender RTL setzt in der kommenden Programmsaison weiter auf Nostalgie-Shows und Retro-Serien. Vorausgesetzt, der neue Geschäftsführer Marc Conrad zieht nicht doch die Reißleine
VON RENÉ MARTENS
Kommt eine Frau zum Chirurgen und sagt: „Ich hätte gern nen neuen Fuß.“ Sagt der Arzt: „Ich zersäge doch keinen gesunden Fuß.“ Denkt die Frau, dann arrangiere ich halt einen Unfall, bei der mir ein Auto den Fuß zermatscht. Gedacht, getan, und nun ist der Doc bereit, sein Skalpell anzusetzen. Sagt der zum Ehemann der Fußkranken: „Wir haben eine günstige und eine Luxusversion.“ Sagt der: „Wir nehmen natürlich die Luxusversion.“ Wir haben hier ein bisschen gestrafft und die Dialoge leicht geschliffen, aber im Wesentlichen ist dies eine Folge der neuen RTL-Serie „Beauty Queen“.
Laut Programmdirektor Frank Berners ist die Serie, die am 21. September startet, auf „allerhöchstem Niveau“ angesiedelt – wofür auch bei RTL bereits verhaltensauffällig gewordene Lebewesen wie Carsten Spengemann (DSDS) oder Caroline Beil (Dschungelcamp) garantieren. In die oberste Niveaukategorie sortiert Programmstratege Berners auch „Ballgefühl“ ein, das erste TV-Format, in dem Fußballspielerfrauen nebst Rivalinnen im Mittelpunkt stehen. Viel geraucht wird hier und in die Eier getreten – nach „Hinter Gittern“ möchte RTL mit dieser Miniserie rund um den fiktiven 1. FC Düsseldorf wohl erneut beweisen, dass man weiß, was in geheimnisvollen Frauenwelten so abgeht.
Solche Eigenproduktionen seien „das wichtigste Format für jeden europäischen Marktführer“, betonte denn auch der scheidende Geschäftsführer Gerhard Zeiler am Freitagnachmittag in einem Speichergebäude des Hamburger Freihafens, wo vier Mitglieder der RTL-Gruppe – RTL, Vox, Super RTL und n-tv – auf die kommende Programmsaison blickten. Wenn private Sender Events zelebrieren, dann am liebsten an Orten, die nach anständiger Arbeit riechen. Die eigene Tätigkeit, das lüsterne Suhlen in Neologismen wie Timetainment, Lovetainment oder Abenteuer Reality, wird damit ja gemeinhin assoziiert.
Die historisch anmutende Umgebung war aber insofern konsequent gewählt, als der Branchenprimus RTL alt aussähe, wenn die Zuschauer nicht immer wieder das Alte sehen wollten. „Wir glauben weiterhin an den Nostalgie-Trend, das Zurückschauen-Wollen, das ist aus unserer Sicht alles andere als vorbei“, proklamierte Zeiler. Nachdem die Siebziger und Achtziger quotenträchtig abgehakt wurden, gibt es nun zehn Folgen der „90er Show“, 2005 sind dann die 60er dran, und sogar Gaukler Uri Geller kehrt zurück, zumindest für eine 90-Minuten-Show. Knapp 30 Jahre ist es her, dass er im deutschen Fernsehen zum ersten Mal Besteck verbog, ohne Hand anzulegen (bei Wim Thoelke war das), heute präsentiert der Thoelke von heute, Günther Jauch, die „Uri Geller Show“. Darüber hinaus lässt Dirk Bach zweimal 90 Minuten lang Prominente über „die größten TV-Hits aller Zeiten“ plaudern. Als potenzieller Retro-Hit ist „Meine schönsten Jahre“ eingeplant, eine Serie über das ach so turbulente Leben eines pubertierenden Jungen im Ostberlin der 80er-Jahre – „Goodbye Lenin“ im RTL-Remix.
Am meisten wurde in Hamburg jedoch die Frage ventiliert, was denn Marc Conrad anfängt mit diesem Programm, wenn er sich am 1. November auf Gerhard Zeilers Sessel setzt. Der Neue gilt als einer, der schnell entscheidet, also auch fix die Reißleine zieht, wenn ein Format nicht läuft. So passt es ganz gut, dass von den mit viel Tamtam angepriesenen neuen Serien ohnehin erst einmal nur jeweils vier Folgen programmiert sind. Da Conrad jedoch abwesend war, blieb die Einschätzung dem Noch-Amtsinhaber vorbehalten: Er sei sich „tausendprozentig sicher“, dass „die Linie“ des neuen Programms auch im Sinne seines Nachfolgers sei, meinte Zeiler.
Ebenfalls abwesend war RTL 2, das vermeintliche Enfant terrible der Senderfamilie. Frank Lilie, Sprecher des „Big Brother“-Senders, findet das aber überhaupt nicht dramatisch, denn schließlich hat RTL 2 seit Anfang des Jahres ja auch einen eigenen Werbezeitenvermarkter. Und weil RTL, Namensähnlichkeit hin oder her, sowieso nur 35,9 Prozent an dem Laden hält, „sind wir weitaus eigenständiger als beispielsweise Vox“. Dort läuft demnächst immerhin ein Format an, das man im weiteren Sinne als Reaktion auf die hartzigen Zeiten interpretieren kann: „Wohnen nach Wunsch – Ein Duo für vier Wände“ (ab 6. September werktäglich). Immer weniger Menschen haben das Geld, um so zu wohnen, wie sie möchten, und ihnen will ein Vox-Team – ein Innenarchitekt, ein paar Handwerker und die Präsentatoren Enie van de Meiklokjes und Mark Kühler – Gutes tun. Auf die Schnelle zaubern sie aus einem renovierungsbedürftigen Raum ein „Schöner Wohnen“-Zimmer, wobei die Person, die sich das neue Outfit so sehr wünscht, überrascht wird. Gibt’s denn schon einen Neologismus für diese Art für Sendung? Ja doch: Deko-Soap.
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