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Der Schmerzensmann

von TOBIAS RAPP

Es deutete sich schon an, als er vor zwei Wochen nicht zu den Verleihungen der MTV-Musik-Awards erscheinen konnte, dass es ernst stand um Johnny Cashs Gesundheitszustand. Und doch konnte man es sich kaum vorstellen, dass Cash nun endgültig vor seinen Schöpfer gerufen werden sollte, zu oft hatte das Schicksal ihn schon niedergestreckt, zu oft war er schon verloren gegeben worden und trotzdem immer wieder zurückgekehrt, der Schmerzensmann des Country, der unkaputtbare Großheroe der amerikanischen Popmusik, der weiße Seelenmann, der Man in Black.

Nun ist er also gestorben, an Diabetes und Atemversagen, gestern früh in einem Krankenhaus in Nashville, er, der einem in seinen letzten Jahren vorkam, als sei es seine Aufgabe, einfach immer weiter da zu sein und in einer extremen Form von Altersweisheit Zeugnis abzulegen von einem Leben, dessen Spuren man in seinem Gesicht sehen konnte. Ein Leben, das sich tief in seine Stimme eingefressen hatte, die einem von Platte zu Platte zerbrechlicher vorkam, aber auch überirdischer – als würde er zwar mit den Füßen noch auf der Erde stehen, aber eben schon auf dem Friedhof, jenem Friedhof vielleicht, auf dem er für das Cover der Comebackplatte „American Recordings“ von 1994 posiert hatte.

Eher Memphis als Nashville

Der Altrocker, Beastie Boys- und Slayerproduzent Rick Rubin hatte ihn in den frühen Neunzigern dem Dasein als alternder Countrystar entrissen und mit minimalistischen Arrangements, reduzierter Instrumentierung und Coverversionen von Popsongs wie U2s „One“ oder Depeche Modes „Personal Jesus“ noch einmal zu einer triumphalen Rückkehr als generationenübergreifende Popikone verholfen. Und o Wunder, die erzchristliche Bildsprache Cashs, sein Beschwören von Schuld und Sühne, von Verdammnis und Erlösung fand auch bei einer Generation Anklang, die für Cash eigentlich aussehen musste wie tätowierte Nichtraucher. Wahrscheinlich war es auch genau das, was die Kinder der Generation X in ihm fanden: die Authentizität desjenigen, der stets das getan hatte, was ihm passte, der gefallen war und wieder aufgestanden, der sich in seinem Leben in mehr Widersprüche verstrickt als Platten eingespielt hatte und den es vielleicht zerrissen, aber nicht verrissen hatte.

Geboren wurde Johnny Cash 1932 als eines von sieben Kindern in einem kleinen Dorf namens Kingsland, Arkansas, im Süden der USA. Seine Kindheit verbrachte er auf der Baumwollplantage seiner Eltern. Und ähnlich wie auch für Elvis Presley war es die Musik der Schwarzen, die ihn prägte: Blues, Gospel, Spirituals. Ein Erbe, das man in vielen Songs wiederfindet. Rudimentär in der Musik, aber ausgeprägt in den Lyrics seiner Songs. Es ist eine traurige Ironie, dass Cashs Leben nun in der Country-Metropole Nashville zu Ende ging. Eigentlich war er dem Memphis eines Al Green oder Joe Tex viel näher.

Und dort, in Memphis, begann auch seine Karriere, nachdem er eine Weile in einer Autofabrik in Detroit gearbeitet und seine Armeezeit in Korea und Deutschland abgeleistet hatte. In den legendären Sun Studios, wo auch Elvis seine ersten Aufnahmen einspielte. Eigentlich wollte er Gospel singen, der Sun-Betreiber Sam Philips überzeugte ihn, etwas Kommerzielleres zu produzieren. „I Walk The Line“ wurde sein erster großer Hit, der es von den Country- in die Popcharts schaffte. Das war 1958.

Wenig später wechselte er die Plattenfirma und entließ für die Columbia die ersten einer langen Reihe von Stücken in die Charts: „Don’t take your Guns to Town“, „Five Feet High and Rising“ und 1964 „Ring of Fire“. Doch da hatte schon der Ärger mit dem Gesetz begonnen, Cash hatte in einem Wald Feuer gelegt und floh nach New York. Ging zurück in den Süden, wurde an der amerikanisch-mexikanischen Grenze mit einem Gitarrenkoffer voller Amphetamine verhaftet, trank und zog um die Häuser.

Es war die Ehe mit June Carter, die ihn wieder in einigermaßen geordnete Bahnen zurückführte. Er hatte sie kennengelernt, weil sie „Ring of Fire“ für ihn geschrieben hatte, 1968 machte er ihr während eines Konzerts auf der Bühne einen Heiratsantrag.

Amerikanisches Urchristentum

Seine Fernsehshow auf ABC, zu der er Künstler wie Bob Dylan und Aretha Franklin, Ray Charles und Louis Armstrong einlud, dürfte ihn genauso auf die Abschussliste des Ku-Klux-Klan gebracht haben wie „Bitter Tears“, sein Tributalbum an den linken Songwriter Peter La Forge. Eine Platte, die von Radio-DJs boykottiert wurde, was Cash durch große Anzeigen im Billboard Magazine konterte, in denen er der Musikindustrie Rückgratlosigkeit und Rassismus vorwarf. Doch so sehr Cash von einer tiefempfundenen Ablehnung des Establishments durchdrungen war, so vieldeutig war sein soziales Engagement und so wenig lässt er sich unter links einordnen. Am ehesten war es wohl ein verstrahltes, amerikanisches Urchristentum, das ihn antrieb.

Cash fühlte sich den Outlaws verbunden, spielte in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern mehrere Konzerte in Gefängnissen. Das berühmteste ist auf der großartigen Platte „Live at San Quentin“ dokumentiert, wo ihm von eifrigen Moralwächtern jedes fünfte Wort seiner Ansagen weggepiept wird. Aber Cashs Identifikation mit dem Verbrechen ging weit über seine Auftritte im Knast hinaus. Er spielte eine Reihe Songs ein, für die er in die Rolle von Mördern schlüpfte: Am bekanntesten wohl im „Folsom Prison Blues“, der auf die Zeile zusteuert: „I shot a man in Reno, just to watch him die“. In „Delia“ trauert er um das titelgebende Mädchen, das er in einem blutigen Ritual erst gequält und dann erschossen hat.

Dann war Cash aber einer der wenigen Superstars der Sechziger, der sich für die Rechte der amerikanischen Ureinwohner einsetzte. Trotzdem trat er in Vietnam auf und war mit Richard Nixon befreundet, für den er auch im Weißen Haus spielte. Auch der christliche Fundamentalist Billy Graham zählte zu Cashs Freunden, sie nahmen sogar eine Platte zusammen auf, Cash singt, Graham liest aus der Bibel vor.

In den Siebzigern schien sich seine Karriere dem Ende zuzuneigen. Er verschwand für eine Weile, es hieß, die Drogen hätten ihn zurück, um wieder sporadisch aufzutauchen und nicht weiter bemerkenswerte Platten aufzunehmen. In den Achtzigern landete er zusammen mit Kris Kristofferson, Willie Nelson und Waylon Jennings noch ein Comeback, als sie die Supergruppe „The Highwaymen“ bildeten, die Cash an die Spitze der Charts katapultierte.

Aber es dürfte seine Selbststilisierung als der „Man In Black“ gewesen sein, wie er sich in einem seiner berühmtesten Songs von 1971 bezeichnet hatte, das Rick Rubin dazu brachte, Cash noch einmal um Aufnahmesessions zu bitten. Das Bild des Mannes, der am liebsten die Farben des Regenbogens tragen würde, sich aber schwarz anzieht, weil er das Leiden der Welt auf seinen Schultern trägt und aus dem Schmerz, den ihm diese Last bereitet.

Dass im Mai seine Frau June Carter starb, dürfte ihm die letzte Kraft genommen zu haben, weiter auszuharren und Lieder über Schmerz und Erlösung zu singen. Johnny Cash wurde 71 Jahre alt.

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