: Das weltberühmte Spiel, das nie stattfand
Das Fußballmatch des SV Mühlenbeck II gegen den Birkenwerder BC in der 2. Kreisklasse Süd (Oberhavel) wurde nie angepfiffen. Laut Spielprotokoll aber gewann es Birkenwerder 6:0. Nun soll das Spiel wiederholt und gefilmt werden
Dies ist die Geschichte von René, Denis, Rigo, Sven, Enrico und noch ein paar anderen Darstellern, deren Vornamen jedoch nicht ganz so aufschlussreich sind, wenn man sich auf die Suche nach der geografischen Lage der Ortschaften Mühlenbeck und Birkenwerder macht. Richtig: Sie liegen beide im Osten des Landes. Genauer: nördlich von Berlin im brandenburgischen Nirgendwo, wo sie auch für immer versteckt geblieben wären, wenn es da nicht diesen 1. Mai dieses Jahres gegeben hätte, der Mühlenbeck und Birkenwerder plötzlich weltberühmt machte. Ein bisschen zumindest. So berühmt jedenfalls, dass morgen in Mühlenbeck der Film zu den Geschehnissen des 1. Mai 2004 gedreht wird.
Was war passiert? Lassen wir Uli, Nachname: Kersten, erzählen: „Wie das Wetter damals war, weiß ich heute gar nicht mehr. Es war Sonnabend. Irgendwann vor drei Uhr Mittag fuhr ich los Richtung Sportplatz. So wie ich es oft mache, seit ich vor vier Jahren angefangen habe in der zweiten Mannschaft des SV Mühlenbeck zu kicken. Ich spiele Abwehr. Eine feste Position habe ich da hinten drin aber nicht. Mal spiele ich rechts, mal links, mal in der Mitte. Je nachdem, wer von uns zum Spiel kommt und wer nicht. Klar, es gab schon Spiele, bei denen wir keine elf Mann zusammenbekommen haben. Dann haben wir eben zu siebt oder neunt gespielt. So ungewöhnlich ist das in der 2. Kreisklasse nicht. Aber so wenige wie an diesem Sonnabend, als wir gegen die Zweite vom Birkenwerder BC spielen sollten, waren wir noch nie. Na ja, da stand ich dann rum. Irgendwann hieß es, dass ich wieder nach Hause gehen könne, man habe sich, auch ohne Spiel, geeinigt. Ich habe mir nicht viel dabei gedacht und bin gegangen. Was damals genau passiert ist, habe ich da aber gar nicht so richtig mitbekommen.“
Szenenwechsel: Es war kurz vor der Fußball-Europameisterschaft in Portugal. Johan Kramer, niederländischer Filmemacher, machte Urlaub in Griechenland. In den deutschen Kinos lief gerade sein Dokumentarwerk „The Other Final“ an. Der Film erzählt die Geschichte eines Fußballspiels zwischen Montserrat und Bhutan, den letzten zwei Mannschaften der Fifa-Weltrangliste, die zeitgleich zum WM-Finale 2002 ihr etwas anderes Finale am Rande des Himalaja austragen. Kramer also lag in Griechenland am Strand und las Zeitung. Im Sportteil des niederländischen Blattes fand er eine Meldung. Sie ähnelte dieser der Berliner Zeitung vom 27. Mai 2004: „Mit Betrugsvorwürfen im Zusammenhang mit dem Spiel zwischen dem SV Mühlenbeck II und der zweiten Mannschaft des Birkenwerder BC in der 2. Kreisklasse Süd musste sich das Kreissportgericht des Fußballkreises Oberhavel am Montag befassen. Das Spiel, das laut Protokoll 6:0 für Birkenwerder endete, hatte niemals stattgefunden. Mühlenbeck war am 1. Mai mit nur sechs Leuten angetreten. Vorgeschrieben sind mindestens sieben. Laut Protokoll trat die Mannschaft gar mit zwölf Spielern an. Gefälscht wurde der Spielbericht mit Einverständnis beider Mannschaften, um Mühlenbeck die 100-Euro-Strafe fürs Nichtantreten zu ersparen. Jetzt verloren alle beide Mannschaften laut Urteil 0:3. Mühlenbeck muss 300 Euro Strafe zahlen, Birkenwerder 175 Euro.“
„Es gibt ein paar vage Vermutungen, wer uns damals verpfiffen hat, aber Sie müssen verstehen, dass ich die der Presse gegenüber nicht äußern werde. Nein, auch heute, ein Vierteljahr später, nicht.“ Dieter Iden, der 1. Vorsitzende des SV Mühlenbeck, spricht nicht sonderlich gerne über das Spiel seiner zweiten Mannschaft, das keines gewesen ist. Sein Pendant vom Birkenwerder BC, Helmut Graf, ist auch nicht viel auskunftsfreudiger. „Ich war erschüttert, dass Leute von uns bei so etwas mitgemacht haben. Ja, erschüttert, schreiben Sie das.“ So erschüttert war Helmut Graf, dass er dem Übungsleiter seiner Mannschaft, „dem Herrn Ingolf Held“, erst einen Verweis erteilte und ihn dann zu ehrenamtlicher Arbeit auf dem Vereinsgelände verdonnerte. „Planierarbeiten, Rasen mähen, Gestrüpp entfernen, solche Sachen eben.“
Johan Kramer hat mit seinem Kamerateam das Vereinsgelände des Birkenwerder BC besucht. Sehr wahrscheinlich, dass er es blitzsauber vorfand. Denn wenn der Vorsitzende Helmut Graf an dem Filmprojekt über die dunkelste Episode der Birkenwerder Vereinsgeschichte etwas wirklich gut findet, dann ist es die Möglichkeit, der Welt zu beweisen, dass „wir ein ordentlicher Verein sind, bei dem alles sauber zugeht, quasi tipptopp“.
Knapp zwei Monate ist es nun her, dass Johan Kramer sich auf die Suche nach den Menschen hinter jener Meldung machte, die er in Griechenland gelesen hatte. Begeistert waren die nicht, als er sie gefunden hatte. Seine Idee, das Spiel zu wiederholen und darüber einen zirka 25-minütigen Dokumentarfilm zu drehen, stieß zunächst auf Skepsis, in Birkenwerder und in Mühlenbeck. Es war, wie es eben ist, wenn ein Fremder in eine Dorfgemeinschaft einbricht. „Wer verbirgt sich dahinter? Was ist das für ein Mensch? Was will der? Fragen, die ich mir eben so gestellt habe“, sagt Iden. Die Antworten, die der Vorsitzende des SV Mühlenbeck erhielt, haben ihm offenbar gefallen.
Am Sonntag, Punkt 16 Uhr, jedenfalls ist es so weit. Die Fußballer René, Denis, Rigo, Sven, Enrico und alle anderen werden auf dem Sportplatz in Mühlenbeck das nachholen, was sie am 1. Mai versäumt haben: Sie werden Fußball spielen. Vorausgesetzt, sie kommen. SVEN RECKER
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