piwik no script img

Von wegen „Puschelwinken“

Cheerleading ist mehr als Lächeln und Hüpfen: Gefährliche Stunts, Bodenturnen, Akrobatik und natürlich Anfeuern – das Cheering prägt den Sport, bei dem auch Männer mitmachen. Am Samstag finden die Deutschen Cheerleading Meisterschaften in Bremen statt. Besuch einer Probe

VON ASTRID LABBERT

„George Bush war auch einer“, sagt Alexander Balz. Der 33-Jährige ist ehemaliger Footballspieler, Cheerleader und stellvertretender Vorsitzender der Cheerleader Vereinigung Deutschland (CVD). Die Frage, ob ein „männlicher Cheerleader“ nicht ein Widerspruch in sich sei, amüsiert ihn. Bush sei zwar kein Maßstab, sagt Balz, aber ein gutes Beispiel: Cheerleading war ursprünglich ein Männersport. Wer das zum Lachen findet, den lädt er gern zum Training ein.

In der kleinen Turnhalle in Bremen-Huchting steht die Luft. Gute drei Stunden haben die Cheerleader der „Bremen Firebirds“ schon trainiert. Ein letztes Mal gehen sie jetzt ihr Programm durch. Routine – englisch ausgesprochen – nennen sie das. Aus dem Ghettoblaster schallt „Let it rock“ von Kevin Rudolf, auf dem mit Teppich ausgelegten Boden wiegen sich kräftige Kerle neben zierlichen Frauen zum Rhythmus des Beats.

Zwei Frauen werden synchron in die Luft geworfen und landen jeweils auf den Handtellern eines männlichen Cheerleaders. Ganz so, als wögen sie nichts. Dann formieren sie sich zur Pyramide. Ganz oben steht Celina Gericke. Die 17-Jährige lächelt ins imaginäre Publikum, springt hoch, macht eine halbe Schraube nach hinten, einen Salto nach vorn und landet im Meer der Arme ihres Teams. „Ich wurde nie irgendwie gefordert“, sagt Gericke. „Außer in diesem Sport. Hier ist alles drin.“ Es sind nur einige Bilder aus der dreiminütigen Routine, die die Firebirds am kommenden Samstag bei den 19. Deutschen Cheerleading Meisterschaften in Bremen zeigen werden. Drei Minuten ohne Verschnaufpause.

Cheerleading ist eine Mischung aus Tanz, Bodenturnen, Anfeuern („Cheer“), Show und Akrobatik. Seit den 80ern gibt es in Deutschland Teams, seit 2003 die CVD, die sich innerhalb des American Football Verbands Deutschland gegründet hat. 40 Teams werden in der Halle 7 des Bremer AWD Domes in verschiedenen Kategorien antreten. Paar- und gruppenweise, weiblich oder mixed, mit oder ohne Stunts.

Ein Blick in die Geschichte zeigt: die ersten Cheerleader waren Männer. 1898 soll es an der University of Minnesota die ersten „Anfeuerer“ gegeben haben. Heute ist der Sport mehr als ein Vorprogramm für Football oder Basketball. „Für mich ist das der beste Ausgleichssport“, sagt Balz.

Jahrelang hat der Fußbodenverleger Football gespielt. Seine Frau Nicole holte ihn zum Cheerleading – statt Hanteln zu stemmen, hielt er sich in der Winterpause fortan mit „Pyramiden bauen und Baskets werfen“ fit. Pyramiden und Baskets sind zwei der zahlreichen Begriffe im Cheerleading, sie bezeichnen Stunts und geworfene Figuren, die Teil des Auftritts sind. Bei der DM gelten die elfköpfigen „Firebirds“ als Mitfavoriten in der gemischtgeschlechtlichen Kategorie „Co-Ed“. Seit einem Dreivierteljahr arbeiten sie an ihrer Choreografie. „Dahinter steckt viel Arbeit“, sagt Kai-Uwe Elsner. „Aber Sinn des Sports ist ja, dass alles fluffig aussieht.“ Wie bei vielen männlichen Cheerleadern ist seine Position die „Base“: „Ich bin der, auf den alles draufgestapelt wird.“ Er wirft, hält, sichert ab und fängt. Kraft und Technik seien dabei wichtig, sagt der Flugzeugbauer.

Dass in Deutschland das Cheerleading oft als „Puschelwinken“ abgetan wird, liegt vermutlich am Bekanntheitsgrad der weiblichen Danceteams. Beim Show-Cheerleading stehen Tanz und Optik eindeutig im Vordergrund; mit tiefen Ausschnitten und Stiefeln. „Show-Cheerleading und College-Style. Da muss man differenzieren“, sagt Kerstin Haarmann. Über das Groupie-Image ihres Sports habe sie sich lange aufgeregt. Heute sagt sie gelassen: „Bei uns geht es darum, dass man seine sportliche Leistung bringt.“

Die Bremerin ist Trainerin der „Magic Hearts“, einem „Allgirl“-Team. Als sie vor 18 Jahren gemeinsam mit ihrer Mutter Traute Lauterbach mit dem Cheerleading anfing, holte sie sich ihr Basiswissen aus einem Lehrbuch, dass jemand aus den USA mitbrachte. Heute stehen die Trainerinnen mit einer Minikamera da, filmen und machen bei Bedarf eine sofortige Fehleranalyse.

Die „Allgirl“-Konkurrenz bei der DM ist groß, als Favoriten gelten die „Welps“ aus Spandau, auch die Cheerleader der „Kiel Baltic Hurricanes“ und die Wolfsburger „Honeybees“. „Wir wollen saubere Routine hinlegen“, sagt Haarmann. Alles andere werde die Tagesform entscheiden.

An diesem Abend steht für ihr 14-köpfiges Team in einer Turnhalle im Bremer Osten noch der „Basket Toss Fly over Salto“ an. Jasmin Mühl, 29, hat die Flickflacks und Tanzsequenzen schon hinter sich, hat „Flyer“ über sich gestützt und selbst dabei auf den Oberschenkeln der anderen gestanden. Beim „Basket Toss Fly over Salto“ fliegt sie selbst – von einer Gruppe in die andere und macht dabei einen Salto rückwärts. 13 Jahre lang ist sie schon Cheerleader, vor vier Jahren hat sie diese Wurffigur zum ersten Mal gemacht. „Da hatte ich schon Ködel in der Hose“, gesteht Mühl. Oft genug hatte sie gesehen, wenn es bei anderen nicht klappte. Aber der erste Versuch lief.

Wie an diesem Abend. Ihre Teamkolleginnen fangen sie einwandfrei auf. Vertrauen ist hier wichtiger als in vielen anderen Teamsportarten. Verletzungen gehören dazu. Blaue Flecke, Nasenbrüche, Bänderrisse. Laut einer US-Studie ist Cheerleading der gefährlichste Mädchensport in den USA. Das liegt an immer gewagteren Stunts, aber vor allem daran, dass Teams ausprobieren, wozu sie sportlich nicht in der Lage sind, sagt Haarmann.

Bei der DM werden die „Magic Hearts“ zeigen, was sie können. Dass die Jury auch den Gesamteindruck bewertet, in dem auch die Optik eine Rolle spielt, ist für Mühl in Ordnung. „Schminke, Kostüme, Haare: Das gehört dazu. Aber im Vergleich zu den Tänzern finde ich uns doch eher harmlos.“ Pompoms haben sie dann übrigens nicht dabei.

19. Deutsche Cheerleading Meisterschaft, Bremen, Halle 7, Bürgerweide, 7. März, 13:30 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen