: Immer schön ruhig Blut
13. Stock (3): Während die hiesige CDU für Vegesack und vor allem den sozialen Brennpunkt des Bremer Stadtteils, die Grohner Düne, weiterhin polizeiliche Betreuung rund um die Uhr fordert, haben einige Bewohner einen Gotcha Club gegründet und bewerfen sich gegenseitig mit Farbbeuteln
VON KOLJA MENSING
Seit sie die Kameras installiert haben, ist es hier wesentlich ruhiger geworden. Natürlich kann man der Videoüberwachung auch entgehen, zumindest kurzfristig. Der Junkie zum Beispiel hatte sich in einen toten Winkel auf der Ostseite der Grohner Düne zurückgezogen. Als er sich einen Schuss ins Bein setzen will, erwischt er allerdings statt einer Vene eine Arterie. Blut spritzt. Also schleppt er sich zum Vordereingang der Siedlung, um dort im Fokus einer der Kameras zusammenzubrechen. Peter, der Wachmann, verständigt die Polizei und den Krankenwagen und versucht die Kinder, die auf dem Hof spielen, möglichst auf Abstand zu der Blutlache zu halten. Später kommen Uwe und seine Frau, die ansonsten die Treppenhäuser sauber machen, lassen sich von Peter Latexhandschuhe geben und schrubben die Steine. Die kleine Menschenansammlung verläuft sich. „Drogen halt“, sagt ein zehnjähriger Junge und zuckt mit den Schultern.
Der Junkie ist bereits am nächsten Tag vergessen. Vier oder fünf Einsatzwagen der Polizei müssen schon auf dem Hof stehen, damit eine gute Geschichte daraus wird. So etwas ist eigentlich länger nicht mehr vorgekommen, und die Geschäftsinhaber und gesetzteren Bewohner der Einfamilienhäuser in der Umgebung waren nach der Einführung des neuen, privaten Sicherheitskonzepts erst einmal erleichtert. Jetzt fällt ihnen allerdings auf, dass Vegesack mit einer sicheren Grohner Düne einen gewissen Prestigeverlust erleiden könnte. Nachdem der Bremer Innensenat vor kurzem beschlossen hat, das hiesige Polizeirevier in den Nachtstunden zu schließen, um Personalkosten einzusparen, fürchtet die hiesige CDU, dass Vegesack im Vergleich zu anderen Ortsteilen ins Hintertreffen gerät. In einer Presserklärung verweisen sie stolz auf ihren „sozialen Brennpunkt mitten in Vegesack“ und fordern weiterhin polizeiliche Betreuung rund um die Uhr. So entdecken die Lokalpolitiker in Bremen-Nord eine interessante Variante des new urbanism und stilisieren die Grohner Düne zu einem vorstädtischen Themenpark im Kriegszustand. Andreas hat seine Freizeitgestaltung bereits dementsprechend ausgerichtet. Wir treffen ihn im Skyline, einem Vereinsheim, das so etwas wie die inoffizielle Kneipe der Grohner Düne ist. Zusammen mit ein paar Bekannten, darunter auch zwei Anwälten, hat er einen Gotcha Club gegründet, und vor einigen Wochen haben sie sich zum ersten Mal für ein Gefecht zwischen den Hochhäusern gesammelt. An einem Samstagabend verteilen sie sich gegen 23 Uhr auf ihre Startpunkte, jeder trägt ein Headset. Eine Zeit lang belauern sie sich, dann fliegen die ersten Farbkugeln. Plötzlich tauchen Mitspieler auf, die gar nicht eingeladen waren. „Die Mützen kennst du doch, denk ich.“ Einer der Wachmänner hat die Polizei gerufen, nachdem er auf dem Monitor eine schemenhafte Gestalt mit einem Gewehr durch ein Treppenhaus huschen sah.
„Rückzug“
Beim zweiten Mal wird es schon brenzliger. Scheinbar hat es sich noch nicht herumgesprochen, dass man dieser Tage in der Grohner Düne nur mit Paintballs schießt. Wieder rückt ein Einsatzwagen an, kurze Rücksprache per Funk, es wird Verstärkung angefordert. „Keine Mützen diesmal, sondern Sturmhauben.“ Mit dem SEK ist der Spaß zumindest für Andreas vorbei. Seine Kombattanten fühlen sich dagegen inspiriert, den Krieg vom Rand in die Innenstädte zu tragen. Nächstes Mal wollen sie sich mit ihren Waffen nachmittags in der Bremer Fußgängerzone treffen. „Ruhig bleiben, Jungs, sag ich, ruhig bleiben.“
Kolja Mensing und Florian Thalhofer verbringen den Sommer im 13. Stockin Bremen-Nord, um einen interaktiven Dokumentarfilm über die Grohner Düne zu drehen. Erste Videos und weitere Frontberichte unter: www.13terStock.de
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