: Rekombinierte Hochzeiten
Aus den üppigen Gärten der Rhythmen: Einer der dienstältesten DJs der Welt, die Disco-Legende Francois Kevorkian, kommt für ein einmaliges Gastspiel ins Watergate
Achtung, für heute bitte alle Verabredungen absagen und vor dem Wegehen noch das Telefon ausstöpseln, damit es einen morgens nicht wach klingelt. Eine amtliche Disco-Legende steht ins Haus: Francois Kevorkian, mit über einem Vierteljahrhundert Praxis einer der dienstältesten DJs der Welt, kommt in die Stadt!
Kevorkian hat in den Hochzeiten von Disco Ende der Siebzigerjahre in sagenumwobenen Clubs wie Studio 54, Paradise Garage und Loft aufgelegt. Einflussreich war er auch als Mann hinter den Kulissen: als Talentscout, als Produzent und Remixer von so verschiedenen Bands und Künstlern wie New Order, Eurythmics, Ashford and Simpson, Diana Ross und Depeche Mode. Selbst die notorisch eigenbrötlerischen Kraftwerk haben es zugelassen, dass er „Tour de France“ und „Radioaktivität“ Tanzflächen-kompatibel remixt hat.
Das war nicht ganz das, was der gebürtige Franzose sich vorgestellt hatte, als er 1976 nach New York kam: Eigentlich wollte er als Drummer Erfolg haben. Und schon wenige Tage nach seiner Ankunft fand er sich tatsächlich in dem Club „Galaxy 21“ wieder, wo er den Mix von Resident-DJ Walter Gibbon mit dem Schlagzeug begleiten sollte. Nachdem Gibbon zunächst versucht hatte, ihn aus dem Takt zu bringen, indem er ununterbrochen Schlagzeugsolos spielte, zeigte er ihm später die Grundtechniken des Auflegens. Als Vertretung von Jellybean Benitez im „Experiment Four“ verfeinerte Kevorkian seine Mixtechnik und begann, eigene Versionen von Songs am Tonbandgerät zusammenzuschneiden.
Bei einem seiner größten frühen Erfolge rekombinierte er rhythmische Versatzstücke aus „In the Bush“ von Musique so lange und so oft, bis er den kurzen Song zu einer Trance auslösenden Symphonie erweitert hatte. Ebenso einflussreich für die modernen Produktionstechniken von House und Techno war sein Gebrauch von Hall- und Echoeffekten, mit denen der Fan jamaikanischer Dubmusik der bis dahin streng linearen Disco eine räumliche Dimension gab. Und als Produzent von New Yorker Underground-Hits wie „Is it all over my face“ von Loose Joints und „Go Bang!“ von Dinosaur L war er daran beteiligt, traditionelle Song-Strukturen mit Strophe und Refrain durch freier aufgebaute Tracks zu ersetzen. Viele seiner Mixe lösen auch zwanzig Jahren nach ihrer Produktion fassungsloses Staunen aus.
In den Achtzigerjahren hatte Kevorkian das Auflegen zugunsten von Produzententätigkeit fast aufgegeben, doch heute organisiert er wieder die wöchentliche „Deep Space“-Party in New York. In Berlin war er noch nie, und das Watergate beweist mit seinem Auftritt, dass es derzeit der Club mit dem ambitionierten Musikprogramm der Stadt ist. Francois Kevorkian, der immer noch weinen muss, wenn sein New Yorker DJ-Kollege David Mancuso im richtigen Augenblick „The Spirit’s in it“ von Patti Labelle spielt, wird dort heute aus den „üppigen Gärten der Rhythmen, die mein Zuhause sind“, berichten – hoffentlich nicht nur vor Connaisseuren, sondern auch für eine fröhliche Partycrowd. TILMAN BAUMGÄRTEL
Heute, 23 Uhr, Watergate, Falkensteinstraße 49 a, Kreuzberg
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