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IRAK: AJATOLLAH SISTANI WIRD ZUR SCHLÜSSELFIGUR DES KONFLIKTSEin ausgefuchster Weiser

Wer hätte gedacht, dass der ehrwürdige, weise Greis Ajatollah Sistani auch noch ein schlauer Fuchs ist. Als es in der heiligen Stadt Nadschaf brenzlig wurde, als der radikale Schiitenführer al-Sadr mit seinen Milizen die Kraftprobe mit den USA und den irakischen Streitkräften wagte, hat er sich aus dem Staub gemacht und sich in London krankgemeldet. Von dort aus konnte er gelassen das Ende der Kampfhandlungen abwarten.

Hätte al-Sadr kapituliert, wäre Sistani einen Störenfried losgeworden, der ständig sein Konzept durcheinander brachte. Wären im Gegenteil die Amerikaner zum Rückzug gezwungen worden, hätten sowohl die USA als auch die irakische Übergangsregierung einen herben Autoritätsverlust erlitten. Nun ist weder das eine noch das andere geschehen. In Nadschaf herrscht nach wie vor Chaos. Umso besser für Sistani. Er ist jetzt fein heraus, ist der einzige Retter in der Not. Nicht nur die Iraker, die ganze Welt ruft nach ihm.

Die Taktik, die er sich ausgedacht hat, ist vorzüglich. Obwohl die US-Militärs schiitische Heiligtümer beschädigt und damit den Nerv von Millionen Gläubigen getroffen haben, hat er nicht zum Dschihad, zum heiligen Krieg, aufgerufen. Er hat sich auch nicht direkt von al-Sadr distanziert. Stattdessen rief er die Massen zu einem Marsch nach Nadschaf auf und hat damit sowohl die Gemäßigten als auch die Radikalen auf seine Seite gezogen. Mit diesem Schachzug hat er die prekäre Lage benutzt, um sich als wichtigste Autorität im Land zu präsentieren.

Im Vergleich zu dieser religiösen Instanz, die inzwischen nicht nur im Irak, sondern in der gesamten islamischen Welt ein hohes Ansehen genießt, erscheint die Übergangsregierung nahezu unbedeutend. Auch die USA, die schon längst den Nachweis erbracht haben, dass sie trotz ihrer militärischen Übermacht nicht in der Lage sind, ein kleines Land wie den Irak zu kontrollieren, haben nach den Ereignissen um Nadschaf einen hohen Autoritätsverlust erlitten. Wie nun auch immer der Konflikt in Nadschaf beendet wird, spätestens seit gestern steht fest, ohne Sistani werden sich die Konflikte im Irak nicht mehr lösen lassen.

BAHMAN NIRUMAND

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