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weinprobeUngekünstelte Weltoffenheit mit Bodenhaftung kommt mit dem Herbst

Stille Tage, authentische Weine

Der Jahrhundertsommer ist vorbei und mit ihm die Aufgeregtheit und Hitze der letzten Monate. Jetzt ist Schluss mit Showtime, die kühle Zeit hat begonnen, in der man wieder nach innen blicken will und kann. Und dabei können uns Weine begleiten: authentische Weine für die stillen Tage.

DOLCETTO

Aus den piemontesischen Hügeln des Langhe kommen äußerst unterschiedliche Weine. Das Spektrum reicht von tiefgründigen Charakterweinen über hysterisch hochgejazzte, überteuerte Super-Weine bis hin zu säuerlich-dünnen Alltagsweinchen. Die Weine der Bera-Brüder haben mit all dem manipulierenden Wein-Marketing, das unsere groteske Sehnsucht nach Bella Italia bedient und ausbeutet, wenig zu tun. Sie erzeugen vielmehr unaufgeregte, authentische Tropfen mit Ecken und Kanten. Den Brüdern misslingt auch mal ein Wein, was sie unglücklich macht – aber sie geben es offen zu. Sie greifen dann nicht wie viele Winzer in die chemische Trickkiste. Ihr Dolcetto ist daher ein kerngesundes und ungekünsteltes Exemplar. Ein saftiger und pikanter Bursche, der dunkelrot und violett im Glas leuchtet. Sein Duft ist von pfeffriger Frische und süßlichen Fruchtaromen getragen. Im Gaumen tritt er knochentrocken, frisch und lebhaft auf. Ein appetitanregendes, kerniges Exemplar mit Biss. Passt gut zu vielem, was jetzt frisch vom Markt auf den Tisch kommt wie Wild, Waldpilze oder Perlhühner. Schmeckt zudem mit luftgetrocknetem Schinken, Würsten oder mediterranen Aufstrichen ohne Tomate. Auch in Olivenöl eingelegtes Gemüse (keine Tomaten) begleitet dieser schlicht-rustikale Charmebolzen gern.

2002 Dolcetto d’Alba D.O.C., Rotwein, Italien, Piemont, Fratelli Bera, 5,90 Euro in der „Weinlese“, 10827 Berlin-Schöneberg, Crellestr. 43, Tel. (0 30) 7 81 71 48, Do. bis Fr. 15 bis 19 Uhr, Sa 10 bis 16 Uhr.

HIMMELREICH

Der Grüne Veltliner, österreichisches Nationalheiligtum par excellence, wird – vor allem in der Wachau – in jüngster Zeit immer mehr in schwindelerregende Höhen und Preisklassen geschossen. Gewiss, es sind grandiose Spitzenweine darunter, aber soll es selbst in der Weinkultur nur noch nach dem Diktum des „Schneller, höher, weiter“ gehen? Seinem Wesen nach ist der Grüne Veltliner jahrhundertelang ein äußerst angenehmer, traditioneller Alltagswein gewesen. Besonders im niederösterreichischen Weinviertel, wo man noch authentische Grüne-Veltliner-Weine findet. Hannes Kölbl keltert in seinem kleinen Familienweingut aus der Rebe einen Tropfen, der keineswegs traditionell um jeden Preis ist. Sondern weltoffen, aber mit Bodenhaftung. Wenn man dem Hannes die Hand gibt, weiß man, warum: So entsteht ein handwerklicher Wein, der geprägt ist von verwittertem Granitboden. Und diese Herkunft kann man auch im Glas sinnlich nachvollziehen: Der Wein duftet nach vollreifen gelben Äpfeln, die von pfeffrigen und mineralischen Aromen durchzogen sind. Im Gaumen wirkt er saftig und weich zugleich. Ein sanfter, unaufdringlicher Wein, gewachsen in einem alten Weinberg, der „Himmelreich“ heißt.

2001 Grüner Veltliner Ried Himmelreich, Weißwein, Österreich, Weinviertel, Weinbau Familie Kölbl, 6,90 Euro bei „Weinlese“ (s. o.). TILL DAVID EHRLICH

Der Autor ist degustationserfahrener Weinkritiker und -publizist.

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