bernd müllender über Plagen: Kein Schönheitspreis für die Standardsituation
Fußball im Radio hat alle Chancen auf Kult und Klasse – und vertändelt und vergibt sie
Der sehr geschätzte Kollege Christoph Biermann hat uns im August, zum Start der neuen Fußballsaison, so richtig was um die Ohren gegeben. 40 Jahre Bundesliga-Reportagen im Radio hatte er zu einem Stakkato von drei Stunden Länge destilliert. 180 Minuten am Stück, abends ab 22 Uhr im WDR. „Der Sound der Bundesliga“ hieß das Oeuvre.
„Klingende Sprachpflege“ hatte die Süddeutsche Zeitung geschrieben; aber es war unklar, ob das ansonsten sehr geschätzte Blatt damit Biermanns Arbeit oder die samstägliche Rohware gemeint hat. Sollte es Letzteres gewesen sein – Widerspruch! Radiofußball mag einen im historischen Mix aus Highlights anrühren und fesseln, als Allsamstag ist er ein Grauen.
Ich habe nie verstanden, was andere am Radiofußball so fasziniert. Radiofußball galt (und gilt) als intellektueller Konter auf den Terror von „ran“ (der neuen Beckmann-Sportschau). Da heißt es: „Ich guck mir das nicht mehr an. Ich hör’s im Radio.“ Radiofußball ist bieder und humorfrei, es sei denn, Manni Breuckmann erhebt sich mal über den Tellerrand.
Ansonsten bieten nur die beiden Bayern Kaas und Koch gelegentlich Erfrischendes in Wortwahl und Originalitätsversuchen. Wenn sie im Radio wenigstens Bilder in der Fantasie erzeugen könnten oder wenigstens so tun, als wollten sie es, wo sie schon keine realen haben. Aber nichts davon. Eine Ausnahme war in seinen frühen Radiotagen der später komplett TV-versaute Werner Hansch.
Fachlich tut sich auch nichts. Es gibt kaum Erklärungen für Spielverläufe, keine Analyse – es sei denn, man hält die Klage aus Herberger-Zeiten, „Sie müssten mehr über die Flügel kommen“, für eine solche. Dazu dominiert schlimmstes Setzkastendeutsch. Man kann es als Trash hören, wenn wie vor 40 Jahren die Abwehr sattelfest sein soll und immer noch kein Schönheitspreis vergeben ist. Aber nur ein- oder zweimal. Danach nervt auch die ironische Beschäftigung.
Andere waschen beim Radiofußball den Wagen, mähen ihren Rasen oder fahren ihr Junges ohrverstöpselt im Kinderwagen Gassi. Hab ich alles nicht. Kann das die Ursache der Unliebe sein?
Man muss das Unikum Dietmar Schott aus dem WDR-Studio ertragen, dessen aufgesetztes Dauergrinsen man hören kann. Und den Sprachhenker Armin Lehmann, eine personalisierte Standardsituation.
Tabellenführerin des Grauens aber ist Sabine Töpperwien. Die schreit so aufgeregt, aber nicht Tor, sondern immer „To-ah, To-ah“. Ob sie ihre radiophone Daseinsberechtigung als Quotenfrau hat oder als Schwester von Interviewerzombie Rolf Töpperwien kann hier nicht abschließend beurteilt werden. In Pressekonferenzen, oft genug vor Ort erlebt, stellt Sabine T. Fragen wie ein reportierendes Männchen. Das ist kein Kompliment.
Radiofußball bezieht besonderen Reiz darin, dass an meist sieben Orten gleichzeitig etwas passiert und das gleichzeitig vermittelt werden soll. Daraus wird in den letzten 20 Minuten die Konferenzschaltung. Der Begriff hat unter Fußballfreunden einen besonderen Zauber, aber schon das Wort klingt so bürokratisch, wie die Sendung abläuft. Ein Reportierender nach dem anderen sondert sein Statement ab, streng in deutscher Ordnung, ein Reigen im 30-Sekunden-Takt: „Und wie sieht’s in Leverkusen aus, Manni?“ … „Und weiter nach Wolfsburg …“
Das bedeutet: Irgendwo taumelt ein infarktverdächtiges Spiel in seine wilde Schlussphase, aber man muss erst eine belanglose Stadionstation („hier ist alles gelaufen“) nach der anderen („hier brennt nichts mehr an“) über sich ergehen lassen, bis das eine Spiel voller Zunder und Feuer wieder dran ist. Inszinatorischer Bürokratismus. Chance vertändelt und vergeben.
In den schönsten Momenten quatschen alle durcheinander. Das ist putzig. Das ist frisch. Da siegt die herrliche Archaik des Fußballs über ihre Verwalter. Einer schreit „Tor!“ oder „Elfmeter!“ aus dem Hintergrund des Irgendwo, er wird nicht recht gehört von dem, der sich gerade durch eine belanglose Schlussphase quält, und man glaubt als Fan augenblicklich herauszuhören, ja, das könnte der Siegtreffer am Bökelberg (oder sonstwo) sein oder werden und … dann war es ganz woanders.
Fußball ist eben vom Wesen her gemein und also eine Plage. Aber eine liebenswerte. Und die kriegt auch keine schlecht inszenierte Radiologie kaputt.
Die Biermann-Sendung hab ich als Saisonstimulanz fast bis zum Ende durchgehalten. Und dann von Sabine Töpperwien geträumt. Fußball kann so grausam sein.
Fragen zu Plagen?kolumne@taz.de
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