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In den Städten aus Dickicht

Wäre eine Avantgarde der Natur die Lösung für urbane Probleme? Doch halt: Hermann de Vries Vorschlag ist nur eine von 30 künstlerischen Positionen, die „No Art, No City“ zeigt

Kein Garten Eden:Sadomasochismus inmitten der freakigen Utopie

Lang ist’s her: Vor 30 Jahren hatte Bremen als erste Stadt in Deutschland begonnen, Kunst im öffentlichen Raum zu förden. Auf drei Arten versucht man nun, an diese glorreiche Vergangenheit anzuknüpfen: Provokativ – durch die Verrückung altbekannter Plastiken (taz 19. September). Subversiv – durch das Meta-Projekt „Niemand ist eine Insel“: 16 Künstlerinnen, Künstler und Gruppen besetzen Bremer Lebensräume.

Doch anders als in den 70ern verzichten sie dabei auf lautstarken Aplomb. Exemplarisch für den neuen, diskreten Gestus kann Ayse Erkmens poetische Aktion „Einer fehlt“ stehen: In der Fußgängerzone lässt die türkisch-deutsche Künstlerin Flugblätter mit Farbfotografien aus Istanbul verteilen. Sie zeigen je ein Tier – einen Esel, einen Hund, eine Katze, einen Hahn – denen die Straßen der Bosporus-Metropole zur Heimat geworden sind.

Der dritte Weg ist reflexiv: Einerseits ging am Wochenende ein Internationaler Kongress zum Thema Kunst im öffentlichen Raum in der Kunsthalle zu Ende. Andererseits dokumentiert die Städtische Galerie mit der Ausstellung „No Art, No City“ aktuelle Ansätze. Am Samstag war Eröffnung: Über30 Künstler, jung-alt, von hier und Übersee hat man ins Buntentor geladen, um mal wieder so richtig respektlos in die Vollen zu greifen. „Das können Zeiten wie diese gebrauchen“, so Kurator Florian Matzner. In den vergangenen 10 Jahren habe sich der Übergang von der Industrie- zur Informationsgesellschaft schleichend vollzogen. Rückzug vorm heimischen PC und die Verwahrlosung von Stadtraum sei die Folge.

Für Bert Theis birgt das die Möglichkeit eines „intensiveren und sinnlicheren Lebens“. In seiner Fotocollage wuchert ein satter grüner Dschungel zwischen architektonischen Inseln, die dank World Wide Web und mobiler Phones keine hässlichen Straßenvernetzung mehr brauchen. Nicht nur auf Vekehrsverbindungen, sondern auf sämtliche urbanen Bezüge pfeift das niederländische Atelier Van Lieshout mit der Installation „Utopisches Dorf“: Eigene Tiere, eigene Währung und sogar eine eigene Destilliermaschine. Inmitten dieser freakigen Vision: zwei weiße Körper, die sich in Sado-Maso-Analpraktiken üben. Soll heißen, die Utopie ist aufgrund menschlicher Bestialität zum Scheitern verurteilt.

Das stimmt, scheinen Wiebke Grösch und Franz Metzger zu sagen. Sie belegen es durch ein Porträt des olympischen Dorfes Newington. Das war als multikulturelles Zentrum gedacht. Doch längst ist dieser Ort, auf einem ehemaligen Munitionslager errichtet, zum Hochsicherheitstrakt verkommen.

Die Freiheit in den Städten kann für Herman de Vries durch die „Avantgarde der Natur“ verwirklicht werden. Einfach wachsen lassen, so sein Rezept. In seinem „terrain vague“ sind blühende Disteln, duftende Holunderbüsche und Kröten zurückgekehrt. Und wie sich Kunst in den Alltag der Stadt integrieren lässt, dazu macht Bogomir Ecker den Vorschlag einer Skulpturenversenkmaschine. Nur durch den Einwurf von Geld erheben sich die unterirdisch aufbewahrten Werker.

Ein Gleichgewicht der Kräfte auf einem begrenzten Raum ist nicht leicht herzustellen: Der volle Rundumschlag durch die Themen Natur, Architektur, Individuum, Gesellschaft, urbane Kunst und, ach, noch dazu von 30 Künstlerinnen und Künstlern raubt leider den einzelnen Werken den Platz. Weniger wäre mehr gewesen.

Esther Brandau/bes

No art, no city, Städtische Galerie, Buntentor. Bis 26. OktoberInfos zu „Niemand ist eine Insel“ unter www.niemand-ist-eine-insel.de

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