piwik no script img

Flucht vor Unterhosen

Englische Erotik im italienischen Kopf. Ein flammendes Beziehungsdrama

Als zu Beginn der Sommerferien im Haus rechts, von meinem Küchenbalkon aus gesehen, ein Gerüst aufgebaut wurde, und als ich wegen der Hitze meine Nachbarn von einer ganz neuen Seite kennen lernte, nämlich von der Unterhosenseite, und als die Bild-Zeitung mich auch nicht mehr so richtig zum Lachen brachte („Alice Coopers Python fraß Heizdecke“, „Krebskranke Hausfrau gewinnt 30 Millionen im Lotto“) – da wusste ich: Herr, es ist hohe Zeit, nach Italien zu gehen. Und da ging ich dann auch hin, also eigentlich flog ich.

Ich war bei Bekannten zu Besuch, einem Briten und seiner italienischen Freundin. Die zofften sich die ganze Zeit, aber zum Glück auf Italienisch, sodass ich nichts verstehen konnte. Hervorragend sind ja immer diese Beziehungsdramen in unverständlichen Sprachen: Man ist dabei so unbelastet!

Wenn sie beispielsweise morgens im Bett lagen – so erzählte Anna –, stand er plötzlich auf, um sich eine schöne Tasse starken Tee aufzubrühen. Anna schrie los, was er sich eigentlich denke, da liege sie, eine heißblütige Italienerin, und er wisse nichts Besseres, als sich um seinen blöden Tee zu kümmern.

Um die ganze Sache ein bisschen zu entschärfen, fragte ich sie eines Abends, wie sie sich denn kennen gelernt hätten – wir verständigten uns auf Englisch. Anna informierte mich bereitwillig: Freunde von ihr hatten sie zusammengebracht, aber als sie John zum ersten Mal sah („Glatze und so“), dachte sie: „Ach du lieber Gott.“ – „Nothing happened“, warf John ein. „Natürlich nicht!“, schrie Anna. Beim nächsten Mal sah sie ihn schon in einem anderen Licht, immerhin ist er auf seine englische Art ganz charmant, und außerdem sind beide schon über fünfzig. „Nothing happened“, sagte John. „My god!“, schrie Anna. Dann trafen sie sich auf einem Frauenfest im Zuge des Palio in Siena, und als er sich aufmachte, um sein Flugzeug nach London zu kriegen, drückte er ihr einen keuschen Kuss auf die Stirn. Da stand Anna schon in Flammen. „Nothing happened“, versicherte John. „Shut up!“, schrie Anna.

Nach seinem Abflug wechselten sie diverse SMS, bis es Anna zu bunt wurde. Sie rief ihn an und sagte, dass sie ja beide schon etwas älter seien und sich solche Scherze sparen könnten, und morgen würde sie nach London fliegen. Da kriegte er Muffensausen, und als sie ankam, hatte er das Haus voller Gäste. Endlich, abends um sieben Uhr, gingen dann alle nach Hause, und John sagte, jetzt müssten sie aber los, denn sie seien beide zu einer Party in Oxford eingeladen. Irgendwie scheint es ja nicht einfach zu sein, einen Briten flach zu legen. Anna sah ihn jetzt drohend an, aber er verschluckte sein „Nothing happened“. Wie ja jede Frau weiß, findet Erotik nicht im Bett statt, sondern im Kopf.

Als ich nach Hause zurückkam, hatten sie das Gerüst abgebaut und auf der linken Seite, von meinem Balkon aus gesehen, wieder aufgebaut. Bild schrieb: „Thai-Hure schlägt deutschen Sex-Touristen zusammen“. Da wusste ich, es ist hohe Zeit, nach Mecklenburg-Vorpommern zu gehen. Das tat ich denn auch, denn dort habe ich eine andere Bekannte, die eine Datsche hat. Ist doch prima, dass man jetzt in einem Alter ist, wo man Freunde hat, die inzwischen überall Häuser besitzen.

FANNY MÜLLER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen