piwik no script img

„Schröder macht mir Albträume“

Seine Freunde sind skeptisch. Für seinen Vater ist es wie Hurerei. Dennoch: Nicol Ljubic, 32, ist in die SPD eingetreten. Und hat darüber ein Buch geschrieben

INTERVIEW STEFAN KUZMANY

taz: Herr Ljubic, Sie sind in die SPD eingetreten. Haben Sie etwa ein Faible für Verlierer?

Nicol Ljubic: Als ich vor zehn Monaten SPD-Mitglied wurde, da wusste ich schon, dass sie dieses Jahr wohl keine großen Sprünge mehr macht. Aber dass sie so abdriften wird wie zurzeit, das war so extrem noch nicht absehbar.

Warum die SPD?

Für mich war klar, dass ich in eine Volkspartei möchte, denn Parteien sind für mich immer noch das Transportmittel der Demokratie – auch wenn immer weniger Leute die Demokratie insofern nutzen, dass sie Mitglied in einer Partei werden. Ich trat der SPD bei, weil sie mir einerseits emotional nahe steht und andererseits, weil ich enttäuscht war von Schröder.

Parteimitglied aus Enttäuschung?

Die SPD war 1998 für mich die Partei, die viel Hoffnung gebracht hat, die Partei, die Kohl abgelöst hat. Ich bin mit Kohl aufgewachsen und kannte nichts anderes als Kohl. Dann kam Schröder und ich dachte: Jetzt kommt der Aufbruch, das war die Hoffnung. Aber ich wurde ziemlich enttäuscht. Ich wollte mir das Ganze mal von innen ansehen. Ob das wirklich die Partei ist, wie ich sie mir vorgestellt habe. Als ich das Grundsatzprogramm gelesen habe, habe ich zum ersten Mal verstanden, warum mir die SPD so nahe ist, denn das, was dort steht, finde ich super. Ich merkte dann aber, dass die Realpolitik ganz anders ist. Und ich wollte für mich feststellen, ob das, was gerade passiert, von der Partei gemacht ist oder von Schröder und der Führungsspitze der SPD.

Wollten Sie sich engagieren – oder haben Sie Stoff für ein Buch gesucht?

Seit Schulzeiten habe ich immer ein potenziell schlechtes Gewissen, musste mir immer von älteren, politisch engagierten Intellektuellen und 68ern anhören, dass ich so unpolitisch sei und dass unsere Generation nichts zustande bringt, und warum wir unseren Hintern nicht hoch bekommen und nur Spaß haben wollen. Das hat mich schon immer genervt – auch weil ich dem nie etwas entgegensetzen konnte. Ich habe ja selbst immer geglaubt: Eigentlich müsste man etwas tun. Aber ich war immer einer von denen, die hundert Gründe dafür finden, warum man es nicht tut. Das schlechte Gewissen war schon sehr lange da, und das Buchprojekt war dann der letzte Auslöser.

Das Buch bestätigt viele Klischees über die Arbeit in einem SPD-Ortsverein: Verrauchte Hinterzimmer, es wird viel Bier getrunken, viel wird geredet, wenig davon dringt nach oben durch, man steht im Regen vor Supermärkten, die Menschen wollen einem nicht zuhören.

Das Gute war, dass ich vorher eigentlich keine Vorstellung von der SPD hatte – gleichzeitig war es auch das Erschreckende, denn Parteien hatten in meinem Alltag vorher keine Rolle gespielt. Ich hatte niemanden im Freundeskreis, der in einer Partei ist.

Woran liegt das?

Ich glaube, dass die Klischees dabei eine große Rolle spielen. Zum Teil sind sie wahr, zum Teil auch nicht. Zum Beispiel war für mich immer klar: Parteien sind langweilig. Man kann eh nichts erreichen. Man redet nur. Dazu kommt, dass ich keinen einzigen Politiker als Vorbild nennen könnte – außer Übermenschen wie Mandela oder Gandhi. Ich bin mit einem Satz meines Vaters groß geworden, der immer sagte, Politik sei eine Hure. Ich wusste noch nicht einmal, was Politik ist, da habe ich schon gehört, dass sie eine Hure ist. Das hat mich geprägt.

Nachdem Sie die Partei besser kennen gelernt haben – ist Ihr Vertrauen in die Politik gewachsen?

Es gab für mich ein Schlüsselerlebnis: einen Auftritt von Müntefering. Er war gekommen, um den Genossen die Agenda 2010 zu erklären. Er hat geredet, und ich fand auch gar nicht schlecht, was er gesagt hat, es wurde euphorisch geklatscht. Ich war der Einzige, der nicht klatschte. Das war wie eine körperliche Sperre: Ich habe meine Hände nicht zusammengekriegt. Es lag an meinem Misstrauen Müntefering gegenüber, eigentlich allen Spitzenpolitikern gegenüber. Ich war so misstrauisch, dass ich ihm nicht zuklatschen konnte.

Woher kam das Misstrauen?

Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Politiker all das nicht verkörpern, was mir wichtig ist an Menschen, die ich mag: Unsicherheiten, Ängste, manchmal Zweifel zu haben – das macht mir Menschen sympathisch. Und ich glaube, das können Spitzenpolitiker nicht, wollen es nicht. Auf unterer Ebene, in meinem Kreis Nordost, habe ich ganz andere Menschen erlebt. Einige reden sehr leise, haben überhaupt nicht diese Politikersprache, die man so kennt, dieses Geschliffene, die sind rhetorisch auch nicht besser als ich – aber haben dennoch schon Ämter in der Partei. Ich habe das Gefühl, dass da eine neue Generation von Politikern heranwächst. Das hat mir Hoffnung gegeben.

Schleift sich diese Offenheit und Fehlbarkeit nicht ab?

Das ist genau die Frage. Ich denke, schuld ist die momentane Struktur der Partei. Du musst zehn, fünfzehn Jahre die Ochsentour machen, bei Wahlkämpfen helfen, an einem Stand stehen, Luftballons aufblasen und Bier ausschenken. Wie will man da seine Frische oder Andersartigkeit bewahren? Ein Genosse hat einmal zu mir gesagt: Es geht nicht darum, zu sagen, was man selbst glaubt, sondern zu sagen, was die anderen hören wollen. Davor habe ich Angst. Deswegen diese Trennung zwischen Spitze und Basis. An der Basis habe ich viele fähige Leute gesehen, in meinen Augen nette, sympathische Leute. Und je weiter nach oben das geht, desto entfernter wird das.

Gerhard Schröder beschreiben Sie am Anfang des Buches als großen Hoffnungsträger. Im Laufe Ihrer achtmonatigen Parteizugehörigkeit scheint er Ihnen vollkommen fremd geworden zu sein.

Ja, der hat mir sogar Albträume bereitet. Einerseits bewundere ich diesen Menschen. Seit Jahren kriegt er nur in die Fresse, von morgens bis abends, von allen Medien. Er schaltet den Fernseher ein und sieht Tausende, die demonstrieren – das durchzuhalten ist mir so fremd, dass ich es schon wieder bewundere. Anderseits habe ich ihn an einem Abend erlebt, da stand er in meiner Nähe, und hatte eine derartig eisige Ausstrahlung, ich hatte das Gefühl, dass von dem Spaßkanzler, wie wir ihn 98 kennengelernt haben, nichts mehr geblieben ist.

Wie kann man für eine Partei Wahlkampf machen, deren Spitze eine Politik betreibt, die von weiten Teilen ihrer Basis abgelehnt wird? Sind Parteisoldaten schizophren?

Diese Frage hat mich ständig beschäftigt: Kann ich guten Gewissens an einem Stand eine Politik vertreten, die ich großen Teils nicht gut finde? Ich habe viele Leute gefragt, die schon länger in der Partei sind, was ich in so einer Situation machen soll. Der Ratschlag, den ich immer wieder bekam, war: Nie das vertreten, woran ich nicht glaube. Und nicht andere überzeugen wollen von einer Sache, von der ich selbst nicht überzeugt bin – dann eher schweigen. Für mich habe ich gelernt, offen damit umzugehen, zu sagen: Vieles, was da passiert, finde ich auch nicht gut. Aber der Umkehrschluss daraus ist nicht, aus der Partei auszutreten. Sondern: Gerade deshalb bin ich in der Partei. Denn wenn ich drin bin, kann ich in meinem kleinen Umfeld versuchen, etwas zu verändern.

Können Sie das tatsächlich?

Ich kann nichts an der großem Politik ändern. Es ist völlig absurd zu glauben, man trete in die Partei ein und werde die Agenda 2010 abschaffen. Wenn aber alle Jugendlichen, die gegen den Bildungsabbau protestiert haben, in die SPD eintreten würden, dann könnten sie die Partei ganz schön auf den Kopf stellen. Ich kann in meinem Kreis und meiner Abteilung Wahlen beeinflussen, ich kann dort versuchen, Stimmung zu machen und Meinungsbildung zu betreiben. Und, was mir wichtig ist, ich kann zeigen, dass die SPD sehr vielfältig ist und nicht jeder Genosse die Regierungspolitik gut findet.

Mit diesem Argument könnten Sie sich auch Oskar Lafontaine anschließen.

Grundsätzlich finde ich, dass eine Partei wie die SPD eine Haltung, wie sie Lafontaine vertritt, aushalten müsste. Aber für mich hat er seine Glaubwürdigkeit verloren, als er sich 1999 über Nacht aus der Verantwortung gestohlen hat. Wenn jemand so weit ist wie Lafontaine und die Neugründung einer Linkspartei propagiert, sollte er von sich aus das Parteibuch zurückgeben.

Wenn man Sie so reden hört – haben Sie etwa Geld von der SPD für dieses Buch bekommen?

Diesen Vorwurf werde ich sicher von einigen zu hören bekommen. Es ist seltsam: Die Menschen scheinen zu erwarten, dass man Parteien schlecht macht, andernfalls kommt man schnell in Verruf, Werbung zu machen. Ich kann nur sagen: Es war meine Idee, es hat nichts mit der Partei zu tun, ich habe auch kein Geld von der SPD bekommen, sondern ich muss für meine Mitgliedschaft zahlen. Das Buch ist keine Lobeshymne. Ich hoffe, dass das für sich spricht.

Erhoffen Sie sich, dass Sie mit Ihrem Buch mehr junge Menschen zu einem politischen Engagement bekommen?

Ich wollte keine zynische Abrechnung mit Politik schreiben. So etwas liest man zur Zeit sehr oft, und es ist auch sehr einfach, Politiker immer abzuwatschen. Ich wollte für mich selbst einmal erleben, was es bedeutet, Politik zu machen. Das Buch soll dazu motivieren, sich mal eine Partei von innen anzusehen. Man muss ja nicht gleich eintreten. Es geht um Politik für uns und die späteren Generationen. Und wenn wir es nicht machen – wer denn sonst?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen