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„Wir müssen schnell sein“

Ob pinkfarbene Ganeshas oder indische Quadriga – Senthil Kumar und Aasivel Kumaran fertigen eine aussterbende Kunst: handgemalte Kinoplakate. Seit zwei Wochen sind diese in Berlin zu sehen

Interview ADRIENNE WOLTERSDORF

taz: Herr Kumar, für Sie haben die Asien-Pazifik-Wochen tragisch begonnen. Ihr Vater starb nach der Pressekonferenz in seinem Berliner Hotel. Dennoch haben Sie die Bill-Board-Ausstellung fertig vorbereitet.

Senthil Kumar: Ich bin sehr traurig und werde den Leichnam meines Vaters nun zu unserer Familie zurückbringen, damit sie von ihm Abschied nehmen kann. Aber die Arbeit hier musste auch fertig werden.

Ursprünglich war ihr Auftritt hier in Berlin ein Hoffnungsschimmer. Warum?

Kumar: Wir waren sehr glücklich, nach Berlin zu kommen. Unser Agent arbeitet jetzt mit dem Kunstcafé „Bellevue Kunst & Kultur“ zusammen. Dort können handgemalte Bill-Boards nach einer beliebigen Vorlage bestellt werden, die wir dann malen und zusammengerollt her schicken.

Diese handgemalten Kinoplakate sterben weltweit aus. Wie ist das in Indien?

Aasivel Kumaran: Noch vor zehn Jahren gab es in unserer Heimatstadt Chenai elf Malateliers mit jeweils bis zu zwanzig Mitarbeitern. Nur die Hälfte der Studios existiert noch, mit höchstes zwei bis drei Künstlern.

Was kommt in Indien besser an: handgemalte oder digital gedruckte Plakate?

Kumaran: Das Publikum interessiert sich sehr für die Bill-Boards und schätzt sie als Kunstwerke. Zum Beispiel können wir Farben besser einsetzen, Lichtakzente setzen und so weiter. Aber die Filmproduzenten wollen billigere Digitaldrucke.

Das heißt, die Branche ist auch im weltgrößten Kinoland so gut wie tot?

Kumaran: Ja, bei uns schulen die meisten Plakatmaler gerade um auf Innenausstattung von Wohnungen und Büros.

Wie lange werden Sie beide dann noch Kinoplakate malen?

Kumar: Höchstens noch zwei bis drei Jahre, dann ist es aus.

Wie lange brauchen Sie für ein Riesenplakat?

Kumar: Drei Stunden. Kumaran hat neulich sogar ein 50 Meter langes Plakat in zwei Tagen gemalt, das war Knochenarbeit.

Ist das das Geheimnis Ihrer Kunst?

Kumaran: Ja, wir Billboard-Maler müssen sehr schnell sein, wir verwenden sehr große Pinsel und bieten nur so wenige Details wie nötig, das merkt der Betrachter aber nicht. Erst wenn er direkt davor steht, sieht er, dass diese Bilder völlig abstrakt sind.

Malen Sie nach Layoutvorgaben oder Fotos?

Kumar: Die Filmstudios geben uns Porträts der Stars, die wir malen sollen, und ein Grafiker gibt uns ein Layout vor, dann malen wir alles um ein Vielfaches vergrößert auf Leinwand.

Und was kostet ein Bill-Board bei Ihnen in Indien?

Kumaran: Die Bill-Boards, die wir hier in Berlin an Breitscheidplatz, Alex und Wittenbergplatz ausgestellt haben, sind etwas kleiner als die üblichen Plakatmaße. Wir mussten uns nämlich an baurechtliche Vorgaben halten. Die Größe, die wir hier angefertigt haben, kostet um die 900 Euro.

Damit ist das handgemalte Plakat eben etwas teurer als die digital gedruckten Plakate?

Kumar: Ja, ein bisschen teurer, vor allem wenn viel Schrift hinzukommt.

Malen ist bei Ihnen seit Generationen Familientradition, wie kam es dazu?

Kumar: Mein Großvater malte in Tamil Nadu die Decken der indischen Tempel aus und studierte Malerei an einer Kunsthochschule. Später malte er Theaterkulissen. Er hat sein Wissen an seine Brüder und meinen Vater weitergegeben. Als Kino in den 50er-Jahren populär wurde, begannen wir alle mit den Bill-Boards.

Wie sieht Ihre Zukunft aus?

Kumar: Wir hoffen, dass wir noch genügend Aufträge bekommen, es müssen aber schon mehr als nur ein bis zwei pro Monat sein. Wir hoffen, dass die Kontakte zu Berlin uns etwas helfen werden. Ich persönlich bin schon seit einiger Zeit bei einem Studio, das Zeichentrickfilme produziert, und male dort Cartoons.

Kumaran: Ich möchte gerne abstrakte Kunst machen, in Galerien ausstellen.

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