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SPD-Mitglieder sollen über Koalitionsfrage abstimmen

Nach der Parteikonferenz der SPD erwarten die Funktionsträger, dass Bürgermeister Henning Scherf seine Partei wieder etwas ernster nimmt

Bremen taz ■ Mehr als 300 Funktionsmitglieder und interessierte Mitglieder der Bremer SPD waren am Dienstagabend in den Konferenzraum des World Trade Centers gekommen, um mit „ihrem“ Bürgermeister Henning Scherf ins Gericht zu gehen. Nachdem Scherf öffentlich angekündigt hatte, er wolle nicht wie bisher erklärt im Jahre 2005 einem Nachfolger das Feld räumen, war schon klar, dass es niemanden geben würde, der Scherf seine Rolle als Spitzenkandidat für die nächsten Wahlen streitig machen würde. Die Kronprinzen Jens Böhrnsen und Willi Lemke schwiegen, meldeten sich auch nicht zu Wort, als Scherf erklärte, er sei auch von ihnen bedrängt worden, weiterzumachen.

Aber bei der Koalitionsfrage will die Partei mitreden. Landesvorsitzender Carsten Sieling überraschte die Versammlung – und auch Henning Scherf – mit dem Vorschlag, dass die Mitglieder über die Koalitionsfrage nach der nächsten Bürgerschaftswahl abstimmen sollten. Wie schon 1995 – damals hatte Scherf für ein rot-grünes Bündnis geworben. Die Mehrheit der Mitglieder hatte für Scherf und gleichzeitig für die große Koalition gestimmt.

Scherf weiß also, worauf er sich einlässt, wenn er diesem Vorschlag zustimmt („schlaue Idee“) und er versicherte den Mitgliedern, er wolle versuchen, sich zu disziplinieren und seine persönliche Meinung nicht so deutlich zu machen wie im letzten Wahlkampf.

Auch für die mehrfach vorgetragene Forderung, seine Politik mehr mit seiner Partei abzustimmen, zeigte Scherf Verständnis. Mancher Sozialdemokrat, der am Anfang der Versammlung eher skeptisch gewesen war, hatte am Ende Hoffnung, dass sich Scherf doch wieder mehr bemühen würde, die SPD zu repräsentieren.

Wenn das Geld fehle, nütze auch eine gute Stimmung nichts, erklärte Sieling unter dem Beifall der Versammlung. Scherf müsse zum Beispiel seine Strategie in Sachen Kanzlerbrief mit der Partei besprechen. Scherf solle die Neuorientierung der Investitionspolitik, die die SPD-Fraktion seit Jahren fordert, unterstützen: Die „soziale Balance“ müsse gesichert werden, „Investition in die Köpfe“ müsse Schwerpunkt werden, also Bildungspolitik. Immer wieder benutzte Sieling die Formel: „Henning, wir erwarten von dir …“ Das traf die Stimmung im Saal: Die Mitglieder wollen, dass Scherf als der sozialdemokratische Bürgermeister agiert und nicht als der Bürgermeister der großen Koalition. Gleichzeitig erneuerte Sieling seine Einschätzung, dass die Gemeinsamkeiten der großen Koalition dahinschwänden. Auch deshalb dürfe die SPD sich für 2007 nicht festlegen.

Aber Beschlüsse der Partei nehme eben niemand ernst, fuhr Sieling fort, nicht einmal das Rathaus nehme das ernst. Und auch deshalb sei es der Versuch, die Glaubwürdigkeit der Partei wiederherzustellen, wenn sie sich auf ein Mitgliedervotum nach der Wahl 2007 festlege.

Wenn der populäre und beliebte Scherf wieder antrete, verbessere das die Wahlaussichten der SPD – aber Scherf brauche eben auch eine starke und aktive SPD, formulierte Sieling. Und Scherf schien sich zu entsinnen, dass auch er einmal auf der anderen Seite gestanden hatte: In der Zeit von Hans Koschnick, einem seiner Vorgänger, der in der SPD damals der „große Manitou“ genannt wurde, sei er ja Landesvorsitzender der SPD gewesen.

Klaus Wolschner

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