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das große werk des hector bethlehem von EUGEN EGNER

Erstmals in der Kunstgeschichte soll eine Hector-Bethlehem-Werkschau gezeigt werden. Eine mutige Museumsdirektorin, die bereits durch die Ausrichtung kontroverser Ausstellungen wie „Mongolisch-monströse Malerei des Müttergenesungswerks“ und „Die Niederrheinische Ikonoborzen-Renaissance“ zu überregionalem Ansehen gelangt ist, gedenkt auch dieses besondere Spektakel in ihrem Hause durchzuführen. Ein Problem dabei ist, dass niemand weiß, wer Hector Bethlehem war oder ist. Die Direktorin unternimmt nichts, um es herauszufinden, ist aber zugleich wütend, weil sie es nicht herausfindet.

Es wäre angebracht, Forschung zu treiben und dabei vom Automobil bis zum Mikrowellenherd jedes Mittel zu nutzen. Diese Aufgabe erscheint der Direktorin aber abschreckend schwierig und zeitraubend. Dazu kommt noch Folgendes: Das Wissen über Hector Bethlehem ist von jeher dermaßen unterdrückt worden, dass jeder, der den Versuch unternimmt, seine Identität zu bestimmen, ein nicht existierendes Ziel verfolgt. Offiziell besteht weder in Fach- noch in breiten Bevölkerungskreisen die Bereitschaft, über dieses Thema Dissertationen zu schreiben. Nicht einmal ein bis zwei läppische Tabellen liegen bislang vor. Hector Bethlehems Lebenswerk ist noch immer überwiegend unbekannt und unverständlich, sogar für die mutige Museumsdirektorin.

Schwierig gestaltet sich daher auch die Vorbereitung des Ausstellungskatalogs. Die Direktorin konzipiert ein hochambitioniertes Projekt von über 300 Druckseiten mit mindestens ebenso vielen, zum Teil farbigen Abbildungen. Sie würde am liebsten nicht nur Hector Bethlehems Identität zweifelsfrei feststellen, sondern auch den Künstler auffinden, sein Vertrauen gewinnen und ihn überzeugen, dass seine Biografie geschrieben werden sollte. Zu diesem Zweck müsste sie aber die Telefonbücher aller Städte und Landgebiete sowie die Personalakten des Heeres, der Handelsmarine und der Freiwilligen Feuerwehr überprüfen. Es wäre zudem noch erforderlich, Polizeiakten, Zeitungsarchive und Sterberegister zu sichten. Aber sie tut nichts dergleichen.

Ihre Aufmerksamkeit wird stattdessen von einer Denksportaufgabe in Anspruch genommen, die sie in einer uralten Fernseh-Programmzeitschrift findet. Die Aufgabe lautet wie folgt: Die Stadt kostet vier Euro. Mit Licht kostet sie achtzig. Was das ausmacht, nicht? Und mit Bürgermeister erhöht sich der Preis sogar auf hundert Euro. Die reine Stadt ohne alles nur vier Euro, überlegen Sie mal! Wenn nun diese eine Stadt vier Euro kostet, wie viel kosten dann vierunddreißigtausend Städte, wenn man für Unterwäsche fünfundsiebzig Cent extra zahlen muss?

Die Museumsdirektorin verbeißt sich wie eine Wahnsinnige in diese Aufgabe und vernachlässigt darüber ihre beruflichen Pflichten, bis ihr das „ganze Museum scheißegal“ ist. Bald schon vergisst sie vollkommen, dass sie jemals eine Gesamtwerkschau des geheimnisumwitterten Hector Bethlehem geplant hat. Sie wird zu ihrem Glück niemals erfahren, dass sie Hector Bethlehem stark überschätzt hat. In seinem ganzen Leben hat er lediglich ein einfaches Fliegengestell aus zwei aufrecht stehenden Brettern zuwege gebracht.

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