: Hilfe für psychisch kranke Kinder wackelt
Damit psychisch kranken Kindern besser geholfen werden kann, stellen viele Ärzte zusätzlich Sozial- und Heilpädagogen ein. Wie das künftig bezahlt werden soll, ist jedoch unklar: Ärztevertreter und Krankenkassen können sich bisher nicht einigen
VON ANNA CORVES
Max* aus Friedrichshafen am Bodensee ist acht Jahre alt und leidet am Asperger Syndrom, einer leichten Form von Autismus. Es fällt ihm schwer, mit anderen Kindern umzugehen, in der Grundschule kommt er kaum mit. Damit Kinder wie Max besser integriert werden können, beschäftigen viele Kinder- und Jugendpsychiater in ihren Praxen Psychologen, Sozial- und Heilpädagogen. Doch wegen eines Streits zwischen Ärzte- und Krankenkassenvertretern ist die Finanzierung für das Zusatzpersonal in einigen Bundesländern ab dem 1. April gefährdet.
Die Kinder- und Jugendpsychiaterin Dagmar Hoehne aus Friedrichshafen hat ein solch interdisziplinäres Team, mit dem sie Kindern wie Max helfen will. „Unsere Sozialpädagogin kann in Gesprächen mit den Lehrern herausfinden, wo genau die Probleme liegen“, sagt Hoehne. So kann die Ärztin entscheiden, ob eine Therapie für soziales Verhalten hilfreich wäre – und die Heilpädagogin aus ihrem Team damit beauftragen.
Bundesweit gewährleisten diese sozialpsychiatrischen Praxen die Versorgung von etwa 200.000 Kindern und Jugendlichen. Das kostet nach Angaben des Berufsverbandes für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie 70 Millionen Euro jährlich. „Durch die Arbeit im Team können sozialpsychiatrische Praxen etwa dreimal mehr Kinder und Jugendliche ambulant behandeln als Praxen ohne Zusatzpersonal“, sagt Maik Herberhold, der Chef des Berufsverbandes. Das spare den Patienten Krankenhausaufenthalte – und koste weniger.
Dass die künftige Betreuung von psychisch kranken Kindern in mehreren Bundesländern ungewiss ist, liegt an einem Streit zwischen Krankenkassen und Ärztevertretern über die Finanzierung der nichtärztlichen Zusatzkräfte.
Bis Ende 2008 wurden sie auf Basis der sogenannten Sozialpsychiatrievereinbarungen zwischen gesetzlichen Krankenkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen, die die Ärzte vertreten, bezahlt. Doch im vergangenen Jahr stiegen die Kassen mehrheitlich aus den freiwilligen Vereinbarungen aus. „Es gab viel Verunsicherung mit Blick auf die Einführung des Gesundheitsfonds 2009“, sagt Ann Marini vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung. Es sei unklar gewesen, wie viel Geld bei den Kassen vorhanden sein würde.
Immerhin: um die Versorgung zunächst zu gewährleisten, hatte der Krankenkassenverband eingewilligt, bis zum 31. März weiter zu zahlen. Derweil sollte eine bundesweite Nachfolgeregelung entwickelt werden.
Die Gespräche auf Bundesebene verlaufen jedoch zäh. Daher haben zwischenzeitlich Kassen- und Ärztevertreter auf Landesebene über regionale Lösungen für die Zeit ab April bis zur bundesweiten Regelung verhandelt. Ein Flickenteppich ist die Folge: In Thüringen oder Berlin gibt es nun Anschlussverträge. In anderen Ländern wie Sachsen oder Rheinland-Pfalz wurden bisher nur Teileinigungen erzielt. Andernorts, etwa im Saarland und in Sachsen-Anhalt, fehlt eine Einigung bis heute. Hier stehen die Ärzte vor einer schwierigen Entscheidung: Beschäftigen sie ihre Mitarbeiter weiter, ohne zu wissen, ob sie ab April Geld für sie bekommen?
Psychiaterin Hoehne ist dieses Risiko eingegangen. Sie hat die gesetzlichen Kündigungsfristen verstreichen lassen – und Glück gehabt: Vor einer Woche einigte man sich in Baden-Württemberg vorerst auf eine Weiterfinanzierung.
Die Bundesregierung macht nun Druck auf die Verhandlungspartner auf Bundesebene. Mitte Februar stellte sie klar, die Vertragspartner müssten sich im Bundesmantelvertrag einigen.
Die Gespräche auf Bundesebene behindert vor allem, dass die Kassen untereinander uneinig sind. Ihr Spitzenverband ist erst seit Juli 2008 die oberste Interessenvertretung aller gesetzlichen Krankenkassen – und konnte Ersatz- und Primärkassen bislang nicht zu einer einheitlichen Haltung bewegen.
Die Ärztevertreter sind dennoch optimistisch, dass sie sich mit den Kassen einigen. Denen hätten sie vorgeschlagen, die bisherige Übergangsregelung bis Ende Juni zu verlängern, sagt Roland Stahl von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.
* Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen