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Der Trainer als Feind in ihrem Bett

So ist der Job. Viel motzen, wenig loben. Zur Qual drängen. Antreiber sein. Und hinterher muss man noch zusammen am Küchentisch sitzen. Ein Selbstversuch von einem, der auszog, die eigene Freundin für den Marathon zu trainieren

Morgens am Spreeufer, und es ist alles anderes als lauschig. „Nicht noch schneller!“, keucht eine von zwei joggenden Gestalten, die andere kontert: „Wir sind doch voll im Schleichtempo.“ Die Freunde hatten gewarnt: Nie, aber auch nie den eigenen Anhang trainieren, sonst gibt’s Zoff. Sagte auch der Kumpel, der Skikurse gibt. Sagte vor Jahren schon der Fahrlehrer, der seine eigene Tochter zu einem Kollegen schickte. Phhh, wir würden das schon besser machen. Passt doch super, wenn der Freund, der schon mal Marathon gelaufen ist, auch die Freundin trainiert, die morgen ihre 42,195-Kilometer-Premiere hat.

Die Freunde hatten Recht. Es ist ein großer Unterschied, wochenends locker zusammen laufen zu gehen, oder den Trainer zu machen. Der zu sein, der morgens um sechs die Decke wegreißt und mit den Laufschuhen am Bett steht. Der missbilligend auf jedes Bier guckt. Der auch im Nieselregen zum Aufbruch drängelt. Der selten lobt und viel meckert, aber anschließend mit am Küchentisch sitzt.

Es ist ein bisschen so, wie der Freundin den Bölts zu machen. 1997 war es, in den Vogesen, als der spätere Tour-de-France-Sieger Jan Ullrich einzubrechen drohte und sein Wasserträger Udo Bölts brüllte: „Quäl dich, du Sau.“ Gut, das letzte Wort ist tabu, aber ganz falsch ist das mit dem Quälen nicht. Ist ja auch heftig, nach den verabredeten 30 Kilometern um Langen See und Seddinsee zu hören, dass jetzt „nur noch“ fünf zusätzliche kommen würden. „Bin ich denn bescheuert? Warum tue ich mir das eigentlich an.“ Der Trainer, der Feind in ihrem Bett.

Was rettet die Lage: das fantastische Gefühl hinterher. Verschwitzt gleich über den Anlegesteg in den See zu springen. Morgen Hand in Hand durch das Brandenburger Tor zu laufen.

Marathon, das ist wie ein privater Mount Everest. Es geht nicht um den ersten Platz – die Besten sind weit über eine Stunde im Ziel, wenn die Masse ankommt. Es geht um den Sieg über sich selbst: Komme ich an oder nicht? Schaffe ich die angepeilte Zeit? Unter vier Stunden sollen es bei uns sein, die erste Schallmauer für Hobbyläufer.

Irgendwann im Frühsommer war die Hausstrecke in Treptower Park, Plänterwald und an der Spree mit dem Fahrradtacho vermessen, war die Stoppuhr besorgt. Bald standen neue Schuhe in der Ecke, Laufbücher lagen plötzlich auf dem Tisch. Vom jetzigen Außenminister etwa, der joggend abspeckte und 3:41 lief. „Perfektes Marathon-Training“ steht auf einem anderen, das die Freundin im Mai anschleppte. Doch der Trainer braucht so was natürlich nicht. Wie peinlich, vor drei Wochen beim ersten Blick in das Buch festzustellen, dass die Experten zu einem viel geringeren Trainingstempo raten. Bloß schnell zuklappen und nichts davon der Freundin erzählen.

Inzwischen ist die Küchenwand bedeckt von Zetteln mit tausenden von Ziffern. Zwischenzeiten, Endzeiten, Durchschnittszeiten, Tages- und Gesamtkilometer. „Noch acht Wochen bis zum Marathon“ steht auf dem oben links, unten rechts hängt der letzte von vergangener Woche. Zwei Monate mit knapp 500 Kilometern plus die ungezählten seit dem Frühjahr. Dreimal früh morgens plus Wochenende. Wenn’s ging, unter der Woche abends mal raus in den Grunewald, um ein bisschen Abwechslung in die Strecke zu bringen.

Vor dem Start noch mal den Vater zu Rate gezogen, Veteran von dutzenden Marathons und einigen 100-Kilometer-Läufen. Iss, Junge, sagt der, lauf bloß an keinem Verpflegungsstand vorbei, wo’s Bananen gibt. Wie wahr. Alles lief bestens bei der eigenen Marathon-Premiere 1995, bis zur Hälfte. Zu gut. Noch eine Banane? Ne, war gerade viel zu viel Gedränge am Verpflegungsstand. Es dauerte zwei Kilometer, dann kam er. Der gefürchtete Mann mit dem Hammer. Der einen umhaut, langsamer, schier stehen bleiben lässt. Manche nennen diesen Moment auch die Wand, vor die man läuft.

In den Laufbüchern zu Hause auf dem Küchentisch ist das alles genau erklärt. Dass die Kohlehydratespeicher schneller leer sind, wenn man zu zügig angeht. Dass ohne längeres Training der Stoffwechsel nicht auf 42,195 Kilometer eingestellt ist.

„Lassen Sie sich nicht irritieren, laufen Sie Ihr Tempo“, steht auch noch in dem Buch. Leicht gesagt: 35.000 werden sich am Start drängeln. „Auf den ersten 20 Kilometern ist alles dicht, erst dann kannste frei laufen“, erzählt zu allem Überfluss noch der Kollege von der Morgenpost, der schon mehrmals dabei war.

Es wird inzwischen Zeit, dass die Sache ein Ende hat. Nicht nur, weil es morgens immer dunkler wird und der Eichelhagel im Wald immer dichter. Sondern auch wegen anderer bedenklicher Entwicklung. Gestern um sechs, draußen noch stockduster, rüttelte es am Bettgestell. Die Freundin, fertig im Laufdress, in der Hand auffordernd meine Laufschuhe und grinsend: „Quäl dich, du …“

STEFAN ALBERTI

PS: Vor zwei Wochen heiratete die Freundin den Autor.

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