david blieswood über Links & Luxus: Auf dem Gipfel des Lebens
Vielleicht muss man wirklich „arm“ gewesen sein, um „reich“ das Gute und Schöne wirklich genießen zu können
Wann ist das Politidol Otto Schily glücklich? Wenn er auf seinem ersteigerten Toskana-Anwesen mit dem Traktor durch seine 200 Olivenbäume fährt. Wann ist Kanzler Schröder glücklich? Wenn er an einer 25-Euro-Cohiba zieht, an einem Bordeaux nippt und im dicksten Buch seiner Bibliothek blättert: „Parker’s Wein Guide“ (8.000 Weine auf 1.900 Seiten). Wann ist Günter Grass glücklich? Wenn er nach Champagner und Rotwein in Paris mit Ulli Wickert in die Chauffeurslimo der Bunte-Chefredakteurin steigt und ins „Bristol“ gleitet.
Sicher, so lebt man auf dem Gipfel des Lebens. Otto Schily trägt noch Narben von Hungerödemen am Bauch, die er sich nach dem 2. Weltkrieg selbst rausgeschnitten hat. Gerhard Schröder war Halbwaise, seine Mutter (die Löwin) hat für ihn geputzt und geschrubbt. Das einzige Foto seines gefallenen Vaters hat er heute auf seinem Tisch im Kanzleramt – mit Stahlhelm. Günter Grass schrieb seine „Blechtrommel“ in einem Heizungskeller in Paris (1957). Er lebte und litt in Kalkutta und tanzte im Frack beim Nobelpreis in Stockholm. Schizophrenie der Widersprüche? Oder Symbiose der Sinne? Erlittenes Gespür für Mehrwert? Oder Rache und Genuss der Gerechtigkeit des Schicksals?
Alles! Warum hat das Dreigestirn der politischen Lebensfreude (Schröder, Fischer, Lafontaine) zirka zehn Ehen hinter sich? Weil das ja alles nicht neu ist, das oft arme, entbehrliche Leben bei allen Sinnen zu packen. Bertolt Brecht, der Augsburger Dandy in Leder, brach Frauenherzen im Dutzend – und danach immer eine Zigarre. Willy Brandt, ein Jahrhundertpolitiker, ein Melancholiker, ein Liebessüchtiger, flüchtete sich zu Frauen und Weinflaschen. Das Filmgenie Rainer Werner Fassbinder wachte mit einem Weißbier auf und starb mit Kokain in der Nase. Der Exzess seines Lebens war die Batterie seines Werks.
Vielleicht muss man wirklich „arm“ gewesen sein, um „reich“ das Gute und Schöne wirklich genießen und schätzen zu können. (Grass lebte in Paris von 300 Mark im Monat: „Wunderbare Zeiten, keine großen Sorgen, obwohl wir nichts hatten.“) Die Pflastersteinwerfer von Frankfurt, Joschka & Co., landeten letztlich alle im besten Restaurant des Westends – bei Klaus Trebes im „Gargantua“ (Menü 50 bis 65 Euro, z. B. Kutteln mit Morcheln!). Heute schleppt Joschka zehn platzende Plastiktüten aus dem gepanzerten Dienst-Mercedes (der Chauffeur hilft).
Ich glaube, dass Linke ein fast erotisches Verhältnis zum sinnlichen Luxus haben – eine fast verbotene sadomasochistische Liebe zum Genuss des Augenblicks. Ich saß in New York neben Willy Brandt, in Baden-Baden neben Gerhard Schröder und in Paris neben Günter Grass. Es sind Drillinge in der Kunst des „carpe diem“ (Horaz): Genieße den Augenblick, halte die Zeit fest, pflücke das Glück des Tages, lebe im Hier und Jetzt – keine Angst vor dem Kater. Es sind Linke mit Lebensleistungen. Es sind Kopfmenschen, die an einem existenziellen Defizit an Bauchgefühlen leiden – und diese Lücke deshalb mit Gewissensbissen, aber ohne Reue, wie Künstler befriedigen.
Der Prototyp: Jojo-Joschka. Dick, dünn, glücklich. Joschka ist der Lebenskünstler, der linkes Denken und rechtes Genießen zur Perfektion entwickelt hat – und Deutschlands beliebtester Politiker ist. Er trägt Jeans und Cerrutti-3-Teiler, einen Glashütte-Chronographen und Baseball-Käppi. Zu seinem Lebensstil und -ziel passt Brüssel, z. B. das „Comme chez soi“ (Servietten so groß wie Tischdecken).
Der Salonlinke Professor Fritz Raddatz (Zeit, Tucholsky, Benn & Co.) ist ein Genie des Genusses. In seiner brillant-bösen Biografie („Unruhestifter“) schildert er, wie er mit der Milliardärin Gabriele Henkel bei der reichsten Frau Amerikas, Ann Getty, beim Cocktail in New York Henry Kissinger trifft. Die Millionäre brauchen die Intellektuellen als Hofnarren wie Salz in der Suppe: „Wie einen Verdauungsschnaps. Wir sind der Underberg der Reichen.“
Links und rechts verbindet Sinnliches mit Konservativem, Einfachheit mit Erlesenem. Diese Balance ist eine Lebenskunst: Butterbrot mit einem weißen Rioja, Nudeln mit Trüffeln, Hühnerfrikassee mit Champagner, ein Bio-Brathendl mit einer Maß Oktoberfest-Bier. Fazit: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es (Kästner).
Fragen an Links & Luxus? kolumne@taz.deDer Autor ist Genuss-Kolumnist bei „Bild“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen