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Ein Leben in der Warteschleife

Mavis Kujath kam illegal aus Ghana, um hier ihren Mann zu suchen. Morgen droht ihr trotz eines Traumas die Abschiebung. Ohne ein Netzwerk von Unterstützern hätte sie nie eine Chance gehabt

VON STEFAN KLOTZ

Die dunklen Augen der jungen Frau blicken ziellos durchs Fenster. Mavis Kujath denkt nur an eins. Wenn sie aufsteht, wenn sie isst und wenn sie schläft, ständig kreisen ihre Gedanken darum, endlich eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland zu bekommen. Morgen könnten alle Strapazen umsonst gewesen sein.

Im März 2003 kam die Ghanaerin nach Berlin. Illegal. Sie wollte zu ihrem Ehemann, einem Deutschen, den sie 1994 in ihrer Heimat geheiratet hatte. Bei der deutschen Botschaft hatte sie deshalb vor zehn Jahren einen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt und auf das Visum gewartet. „So ein Verfahren kann sich bis zu 18 Monate hinziehen“, sagt Fofoi Adam, der, mit 30 anderen, ehrenamtlich beim Büro für medizinische Flüchtlingshilfe in Kreuzberg arbeitet. Adam kümmert sich um illegale MigrantInnen, Menschen ohne Lobby. Auch er kommt aus Ghana, fühlt sich darum für Kujath besonders verantwortlich.

Die bekam auch nach 18 Monaten kein Visum, weil sie angeblich eine Scheinehe führe. Kujath ging in Revision, sprach immer wieder bei der Botschaft vor und wartete. Erfolglos. Ihr Mann schickte ihr etwas Geld zum Leben, sie telefonierten, bis der Kontakt 1998 plötzlich abriss und auch kein Geld mehr kam. Sie wusste nicht, warum. Eine Schule konnte die Älteste von neun Geschwistern nie besuchen, nie selbst Geld verdienen.

Jetzt sitzt die 31-Jährige in der kleinen Zweiraumwohnung von Fofoi Adam. Ihre Hände hat sie zwischen ihre Oberschenkel geklemmt. Leicht nach vorn gebeugt erzählt sie ihr Schicksal. Irgendwann habe sie das Warten nicht mehr ausgehalten und dann habe ein Mann ihr angeboten, sie nach Berlin zu bringen. Geld wollte er keins. So kam sie vergangenes Jahr hierher. Der Schleuser hatte für beide ein Hotel gebucht. „Wahrscheinlich hat er das gemacht, damit sie sich in ihn verliebt“, mutmaßt Adam über die Motive des Schleppers. Der verschwand nach einer Woche, Kujath blieb hier. Ohne Geld, ohne Deutschkenntnisse, ohne Bleibe und ohne ihren Mann.

Der sitze seit 1998 in der JVA Tegel und bleibe dort auch bis Juli 2005, erfuhr sie irgendwann. Warum, sagte man ihr nicht. Zweimal konnte sie ihn besuchen. Dann traf sie eine Frau, ebenfalls aus Ghana. Die nahm Mavis Kujath mit in ihre Wohnung, gab ihr Obdach und zu essen. „Das ist Solidarität, wie unter Geschwistern“, sagt Fofoi Adam. Auf echte Familiensolidarität muss Kujath verzichten. Ihre Eltern starben 1998 bei einem Verkehrsunfall.

Auch Fofoi Adam kam vor 12 Jahren illegal nach Deutschland. Auch ihm half ein „afrikanischer Bruder“. Kujaths „Schwester“ hat ihr einen kostenlosen Sprachkurs bei einer anderen Ghanaerin vermittelt. Dort lernt sie nun mit anderen Afrikanerinnen Deutsch. Ihre Muttersprache ist Twi. Kujath gehört den Ashanti, Ghanas größter Ethnie, an und spricht deren Dialekt. Die offizielle Landessprache in Ghana ist Englisch, doch Kujath beherrscht bestenfalls ein „Straßenenglisch“, wie Adam es qualifiziert. Er selbst spricht eine andere der laut Regierung 46 Sprachen Ghanas. Die beiden kommunizieren in einer Melange aus Englisch und ihren Muttersprachen.

Ein Handyklingeln unterbricht ihr Gespräch. Die „Schwester“ überließ Mavis Kujath das Mobiltelefon und prüft per Anruf, ob alles in Ordnung ist, wenn Kujath außer Haus ist. Sie hat ihr auch den Anwalt aus eigener Tasche bezahlt, als Kujath ins Gefängnis kam. Eines Abends prüften Polizisten ihre Papiere. Sie hatte kein Visum, die Handschellen klickten. Über ein Jahr saß sie im Abschiebeknast Köpenick. So seien die Gesetze in Deutschland, habe ihr der Haftrichter lapidar gesagt. „Schrecklich“, sagt sie knapp, sei es hinter Gittern gewesen. Anfangs waren sie zu viert in einer Zelle.

Zweimal stand Kujath mit einem Bein im Flugzeug nach Afrika. Doch in Tegel wollte sie die Einreiseerlaubnis für Ghana in die Hand haben. „Ohne das Papier landet sie in Ghana wieder für drei Monate im Gefängnis und wird dann wieder zurückgeschickt“, erklärt Adam ihre Forderung. Die Polizisten lehnten ab. Kujath gab nicht nach. Deshalb sei sie geschlagen worden, sagt sie. „Eine Ärztin hat Spuren festgestellt, die von Misshandlungen stammen könnten“, bestätigt Adam. Für eine seriöse Diagnose ist das Geschehen aber zu lange her. Ein paar Demonstranten hatten damals in Tegel den zweiten Abschiebeversuch fotografiert. Auf einem Bild zwängt ein Polizist die Abschiebekandidatin in den BGS-Bus, auf einem anderen schreit Kujath. Den dritten Abschiebeversuch hat Ghana abgelehnt. Seit Juni wohnt sie daher wieder bei ihrer „Schwester“, einen Anwalt kann sie ihr aber nicht noch mal finanzieren.

Kujath ist in der Haft am Unterleib erkrankt. Zudem leidet sie an einer Knochenschwäche. So landete sie bei Fofoi Adam und der medizinischen Flüchtlingshilfe. Der vermittelte ihr Ärzte, die sie kostenlos behandelten. Aufgrund deren Befunde erhielt sie eine Duldung – bis zum 9. September, morgen. Dann droht ihr erneut die Abschiebung. Auch bei der Psychologin der Arbeiterwohlfahrt war Adam mit Kujath. Die diagnostizierte ein Trauma. Das bedeutet einen Härtefall, einen Grund für eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis. Doch um die zu bekommen, muss ein von der Ausländerbehörde anerkannter Psychiater die Diagnose bestätigen. Mehrmals hat Fofoi Adam deshalb die Liste anerkannter Ärzte rauf und runter telefoniert. „Die sagen einfach, ein Termin ist zurzeit nicht möglich“, seufzt er ratlos. Gründe nennen sie nicht.

Die Zeit läuft Kujath davon. In Ghana droht ihr das Nichts. Keine Bleibe, keine Arbeit, kein Geld, keine Eltern, kein Ehemann.

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