: Beim Heiraten ganz auf sich allein gestellt
Nicht mehr die Arbeitseinheiten, sondern die Chinesen selbst dürfen seit gestern über ihre Ehen entscheiden
PEKING taz ■ Wenn schon nicht ihren Präsidenten, so können die Chinesen doch ihren Ehepartner seit gestern frei wählen. Für diesen revolutionären Durchbruch vor dem Hintergrund einer mit zahlreichen Heiratsverboten belasteten tausendjährigen Geschichte sorgt eine neue Heiratsverordnung der Kommunisten, die am Mittwoch zum Nationalfeiertag der Republikgründung am 1. Oktober in Kraft trat. Erstmals ist es den Chinesen nun möglich, ohne den Einfluss irgendeiner Organisation eine Heirats- oder Scheidungsentscheidung zu treffen. „Mit der neuen Verordnung muss jeder für sich selbst verantwortlich handeln“, schreibt die staatliche Volkszeitung nicht ohne Pathos.
In Wirklichkeit ist die neue Heiratsregelung ein lang erwartetes, bis nach dem Amtsantritt der neuen kommunistischen Führung unter Hu Jintao aufgespartes Bürgergeschenk. Denn Heiraten war in China bisher eine komplizierte bürokratische Mühsal, bei der Staat und Partei auch ihre treuesten Bürger maßlos verärgerten. Das begann mit der Erlaubnis der Arbeitseinheit oder des Straßenkomitees, die Heirats- oder Scheidungswillige vorlegen mussten. „Männer dürfen in China nach dem Gesetz mit 22 Jahren heiraten. Doch die Arbeitseinheit meines Mannes erlaubte das Heiraten erst mit 25“, erinnert sich die Frau eines Pekinger Ministerialbeamten an ihre Hochzeitsqualen. Über ein Jahr musste sie auf die Erlaubnis warten, ihren damals 24-jährigen Mann heiraten zu dürfen.
Dabei ist ihr Beispiel noch harmlos. Oft verfügten Arbeitseinheiten nach Belieben über die Heiratsfähigkeit ihrer Angestellten und ließen ihnen unbequeme Fälle jahrelang warten.
Historisch gesehen aber war dies bereits ein äußerst liberales Verfahren. Noch heute wird Republikgründer Mao Tse-tung von vielen Chinesen verehrt, weil er Eltern das aus der Tradition begründete Recht verwehrte, den Ehepartner ihrer Kinder auszuwählen, und stattdessen den Arbeitseinheiten die Kontrolle des Heiratsverfahrens übertrug. Auch Mao machte damals ein Bürgergeschenk – im Bewusstsein einer historischen Gewohnheit, die mit jeder neuen Dynastiegründung neue Heiratsgesetze bestimmte. So führten einst die Mongolen bei ihrer Besetzung Chinas im 13. Jahrhundert eine strenge soziale Trennung ein, die das Heiraten sowohl unter unterschiedlichen Völkern als auch sozialen Klassen untersagte. Ähnliches taten die Mandschus, die im 17. Jahrhundert China überfielen, als Herrenrasse auftraten und als Erstes das Heiraten zwischen Mandschus und Chinesen verboten.
Soziale Trennfunktionen zwischen Herrschenden und Beherrschten hatte die Heiratspolitik aber auch noch unter Mao: Sie erschwerte beispielsweise die Heirat zwischen Stadt- und Landbewohnern.
Doch auch damit soll nun Schluss sein. Die neue Regelung erleichtert vor allem Hochzeiten zwischen Stadtbewohnern und Wanderarbeitern. Auch eine medizinische Untersuchung ist vor der Heirat nicht mehr notwendig. Sie diente Männern in der Vergangenheit nicht selten zur Feststellung der Jungfräulichkeit der zukünftigen Ehefrau.
GEORG BLUME
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