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Die Profis

Der Performer, Tänzer und Choreograf Thomas Lehmen sucht mit seinem im Berliner Podewil uraufgeführten Stück „Stationen“ nach dem produktiven Mehrwert systemtheoretischer Erkenntnisse für künstlerische Produktionsweisen

Ausschneiden, kopieren. Seit es Computer gibt, sind diese Funktionen alltäglich geworden. Ein Stück aus der Realität ausschneiden und im Theater wieder auf die Bühne setzen: Das praktizieren Theatermacher, Performer und Musiker zwar auch schon seit zwei Generationen, alltäglich aber ist es dennoch nicht. Vielleicht, weil die Orte, an denen das geschieht, noch immer an der Peripherie der großen Kulturinstitutionen liegen. Vielleicht, weil der Hunger nach Alltag in den Medien oft so starre Formate erzeugt, dass denen zu entkommen inzwischen wieder zu einer eigenen Kunst geworden ist. Ganz sicher aber, weil sich der Kontext und die Motivationen ändern, mit denen der Realitätsausschnitt verschoben wird.

Thomas Lehmen, Performer, Tänzer und Choreograf, wählt jetzt zum Beispiel den Ansatz der Systemtheorie. In „Stationen“, im Berliner Podewil uraufgeführt, sucht er nach dem produktiven Mehrwert der systemtheoretischen Erkenntnisse für künstlerische Produktionsweisen. Also denkt er sich Strukturen aus, um verschiedene Systeme zusammenzubringen und auf Berührungspunkte, Reaktionsformen und ihre inkompatiblen Elemente hin zu untersuchen.

Dazu lädt er Vertreter verschiedener Berufsgruppen ein, lässt das System Kontextverschiebung gegen das System tänzerischer Komposition antreten und bringt verschiedene Experten ins Spiel, die über Socken, Islam, Kartoffeln, Geldwäsche und das Fortpflanzungssystem der Schwämme reden.

„Stationen“, das an jedem Abend mit anderen Teilnehmern entwickelt wird, beginnt wie ein Seminar unter Neonröhren. Ein Versicherungsvertreter, eine ehemalige Staatsanwältin, ein Pfarrer, eine Feinkostverkäuferin und ein Pförtner reden über ihren Beruf und finden als gemeinsames Muster sehr bald die Vorstellung, die man seinem jeweiligen Kunden, Klienten, Angeklagten oder Gläubigen geben muss und wie man das trainiert. Denn mehr oder weniger performen wir doch alle. Schnittstellen zur Zufriedenheit gefunden.

Teil zwei des Abends bestreiten die Tänzer, die schon eine Reihe solcher Begegnungen mitgemacht haben. Dennoch findet man in ihren Bewegungen zwischen den jetzt auseinander geschobenen Tisch kaum etwas wieder von Teil eins. Man würde auch gern wissen, was sie ständig tuschelnd verabreden: auf welchen Linien sie tanzen, wer sich auf wen bezieht, welches Material sie benutzen. Nicht kompatibel, das geschlossene System Tanz.

Der dritte Teil der sachkundlichen Vorträge ist amüsant, skurril und lehrreich. Jetzt stehen die Themen zwar so unverbunden wie lexikalische Einträge nebeneinander, aber die kompositorische Form – ein Tänzer erzählt fünf, sechs Leuten etwas an einem Tisch, voller Emphase und ohne die Spur eines Zweifels an ihrem Interesse – bindet das wieder zusammen, und man denkt: Ist doch Klasse, die Vielfarbigkeit der Welt! Jetzt steckt man auch den Tanz von eben so locker weg als eine Spezialform in der Vielfalt der Disziplinen.

Die Dramaturgie eines solchen Abends ist flach, aber langweilig wird es trotzdem nicht. Am Anfang erzählte Thomas Lehmen, der die „Stationen“ an anderen Orten fortsetzen wird, von seiner Hoffnung, durch dieses Konzept der Selbstbezüglichkeit der Kunst zu entkommen. Als symbolische Geste klappt das schon ganz gut. Aber man ahnt auch, dass sein Wunsch, vom Inneren der Kunst aus die ganze Welt zu berühren, nie Realität werden kann, sondern immer nur als Wunsch eine neue Form findet. KATRIN BETTINA MÜLLER

Bis zum 5. Oktober im Podewil, Berlin

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