: „Gebäck mit Hakenkreuzen“
VON FABIAN
Wie fühle ich mich? Einsam, gerade am Anfang, als wir raus waren. Seitdem ich 14 bin, drehte sich alles um die Kameradschaften. Glücklicherweise sind wir zusammen von der AN weg. Das macht es leichter. Auch dass ich nicht alleine wohne wie Anna. Reingerutscht bin ich in die Szene nicht. Ich suchte den Kontakt. Im Internet stieß ich auf Rechtsrock, lud mir die Schulhof-CDs bei der NPD runter, fand die Musik und auch die Aussagen gut. Was soll ich heute beschönigen. Besonders die sozialpolitischen Positionen: Arbeit für Deutsche, Hilfe für Familien. Die da oben, Bonzen, Politiker wie Gewerkschaftler, verraten doch die einfachen Arbeiter, das deutsche Volk, dachte ich und ich wollte was dagegen tun.
Ich schrieb im Internet eine Adresse an. Keine zwei Wochen später meldete sich ein Kader, wir trafen uns. Ob er gleich meinte: „Komm doch zu einem Aufmarsch mit“, habe ich vergessen. Aber das war mein Einstieg: Aufmärsche gegen die Linke, Verteilungen von NPD-Bürgerzeitungen, Kameradschafts- und NPD-Veranstaltungen: All das machte ich mit. Wie Anna las ich mir mehr und mehr Wissen an. Das vermeintlich Soziale im Nationalen bewegte mich. Hartz IV, Arbeitslosigkeit, Verelendung: Dagegen wollte ich was machen. Der Strasser-Flügel in der NSDAP und die SA: Da fand ich Antworten. Deren Anfeindung in der damaligen Bewegung hätte mir schon früher zu denken geben sollen. Auch wie wenig deren ökonomische Ideen tatsächlich ausgereift waren.
Bei Schulungen wie zu Antikapitalismus – die fanden meist in Gaststätten statt – tauchten bei mir Fragen über Fragen auf. Mich nervte zunehmend, dass da kaum diskutiert wurde. Referat und das war’s. Die meisten schienen sich mehr auf das Bier danach zu freuen. Damals fühlte ich mich dann wie einer der führenden Kader, die anderen waren die „Kraken“, das Fußvolk.
Man glaubt gar nicht, wie viele in der Szene sind, die eigentlich politisch nicht wirklich verbindlich was wollen. Prollig und gewaltbereit. Auf Partys reichte oft eine blöde Kleinigkeit, schon schlug man sich. Ich war mal bei einer Geburtstagsparty, da haute ein Kamerad einem anderen mit einer Bierflasche ins Gesicht. Und doch hielt mich dieses Ding: Wir sind eine Gemeinschaft, wir kämpfen zusammen gegen die anderen. Kameradschaft und eben auch diese Gewalt. Das hat was, wenn man mit 4.000 Leuten durch die Straßen marschiert. Man fühlt sich stark. Ich war auch mal dabei, wo wir eine Antifa-Aktion aufmischen wollten.
Die vermeintliche Kameradschaft, die oft vorbei ist, wenn man nicht auf Linie ist, wird hochgehalten. Nach Aktionen fand gemeinsames Grillen statt. Weihnachten gab es eine Weihnachtsfeier. Da kamen so 30 Leute, auch Familien, alle aus unserer Gegend. Manche brachten selbstgebackenen Kuchen, Kekse mit. Glaubt man jetzt vielleicht nicht, aber einige Kuchen waren mit Hakenkreuz verziert. Als es plötzlich hieß, die Bullen kämen, wurde alles schnell reingestopft. Bei den AN kümmerte ich mich um die Websites. Das machte ich von zu Hause aus, Texte brachten Kameraden auch mal vorbei. Meine Eltern sagten nichts. Wir sahen ja auch nicht so typisch nazimäßig aus. Die wussten natürlich, wo ich stand, was ich machte. Aber, und ich glaub, das war gut, die haben mich nicht unter Druck gesetzt. Mit den Mitschülern war es was anderes. Über die Szene hinaus waren wir ja bekannt.
Die NPD wollte, dass Anna und ich für sie kandieren. Wir wollten nicht. Die ganzen Streitereien der vergangenen Monate, diese persönlichen Kungeleien, nee, ohne uns. In den Kameradschaften ist das Verhältnis zur NPD immer mal so, mal anders. Alle schimpfen, die NPD nutzte sie bloß aus, als Wahlhelfer und so, verspräche viel, hielte wenig. Und doch, bei Aktionen, Wahlen sind sie wieder da. Echt verlogen, der Umgang.
Vieles passte zum Schluss eben einfach nicht mehr, na ja, auch, dass ich merkte, dass mich Männer wie Frauen anziehen. All diese niveaulosen Sprüche und diese ganzen Gewalttaten konnte ich auch nicht mehr ertragen. Ich war einfach auf dem falschen Weg.
Protokolle: Andreas Speit
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen