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Blick ins Pantheon schwarzer Götter

Mit der Blende seiner Kamera hat der französische Fotograf Pierre Fatumbi Verger die kulturellen Riten der Schwarzen Brasiliens dokumentiert

VON BARBARA KERNECK

Götter sind nicht logisch. Und da dies sich nun mal so verhält, ist es eigentlich viel einfacher, an ein ganzes Gehudel von Göttern zu glauben, als an den einen einzigen, dessen öfter schlechte als gute Laune man als unbedeutender Menschenwurm auszubaden hat. Die Götterfamilie liefert dem Menschen außerdem noch einen ungeheuren Vorteil: Wie bei neurotischen Menschenfamilien lassen sich ihre Mitglieder nämlich gegeneinander ausspielen. Das Gefühl, irgendwo in dieser Welt doch noch über ein bisschen Einfluss zu verfügen, hatten SklavInnen bitter nötig, wenn sie die Viehtransport-ähnlichen Verschiffungen aus der Alten in die Neue Welt lebend überstehen wollten.

12 bis 15 Millionen sollen insgesamt auf den amerikanischen Kontinent verfrachtet worden sein, davon 40 Prozent nach Brasilien. Da aber auch der Mensch an ihrem Ankunftsort es mit einem Gott allein nicht aushalten konnte, hatten wenigstens die Katholiken dort ihre Heiligen längst zu Halbgöttern gemacht. Der geschnitzten Statue des heiligen Hieronymus konnte man dann einfach eine Doppelaxt auf den Kopf montieren – und schon wurde sie zum austauschbaren Pendant des afrikanischen Gottes Xango. In der Fachsprache nennt man das Synkretismus. Und da sie nun mal zu einem Kotau vor dem christlichen Imperium gezwungen waren, blendeten die AfrikanerInnen einfach die christlichen Götter über die eigenen und umgekehrt.

Mit der Blende seiner Kamera hat der französische Fotograf Pierre Fatumbi Verger (1902–96) diesen Prozess dokumentiert. Nachdem er den Hauptwohnsitz in Salvador de Bahía auserwählt hatte, ist er zu diesem Zweck vier Jahrzehnte lang über fünf Kontinente gereist. Die Wissenschaft schätzt ihn heute als Vorläufer der visuellen Anthropologie. Die Berliner Ausstellung „Schwarze Götter im Exil“ zeigt jetzt mehr als 300 seiner Fotos sowie die multimediale Foto-Installation „Trance_Territorries“ des brasilianischen Künstlers Mario Cravo Neto (Jahrgang 1947). Die beiden befreundeten Fotografen ließen sich tief auf die Glaubenswelt der Afrobrasilianer ein und dokumentierten deren kulturelle Praktiken und religiöse Rituale, das, was in Brasilien Candomblé heißt, in Haiti Voodoo und in Kuba Santería. Das bedeutet: Die gleichen Götter und die gleichen Rituale fotografierten sie in Afrika und in der Neuen Welt.

Aber es macht auch Spaß, Vergers einfühlsam-ironische Texte über multiethnische Gesellschaften als Literatur zu lesen. Von seinen etwa 30 Büchern waren nur die Hälfte Fotobände, in hunderten von Artikeln hat er die Kultur vermittelt, die ihm am Herzen lag. Schon an den Fotounterschriften auf der Ausstellung kann man seinen sprachlichen Duktus erkennen. Da schreibt er zum Beispiel: „Bahía war provinziell und der Lebensrhythmus richtete sich nach Gewohnheiten, die sich am Anfang des Jahrhunderts herausgebildet hatten. Die Telefone funktionierten schlecht und die Menschen machten ihre Geschäfte lieber mündlich an Straßenecken, weil es dort zu bestimmten Zeiten kühler war.“ Verger zeigt uns einfach Möglichkeiten, sich anders zu verhalten, als wir es gewohnt sind. Wie wirkt zum Beispiel in unserer Gesellschaft, die das Ethos der Arbeit bis zum Idiotismus treibt, folgendes Gedicht unter einem Foto: „Essenszeit – essen! Schlafenszeit – schlafen! Faulenzerzeit – faulenzen! Arbeitszeit? – Beine hoch, niemand arbeitet, bis er umfällt!“

Pierre Verger muss wegen seiner französisch-bürgerlichen Herkunft an einem Minderwertigkeitskomplex gelitten haben. Er ließ sich von den Ritualen seiner schwarzen Nachbarinnen mitreißen, um endlich wieder echte Gefühle zu verspüren. Selbst ein zutiefst literarisch empfindender Mensch, inspirierte er auch andere Literaten. Zum Beispiel die Deutschen Hubert Fichte und Leonore Mau zu ihren Büchern „Xango“ und „Petersilie“. Verger nahm ihnen allerdings übel, dass sie ihn als Schwulen outeten.

Bahía, wohin er als Europäer vor dem Zweiten Weltkrieg geflohen war, erschien ihm wie ein Gegenentwurf zu dem von Krieg und Völkermord gezeichneten europäischen Kontinent, als Hort menschlicher Toleranz. Immerhin ging Pierre Verger konsequent seinen Weg. 1953 ließ er sich in Ketou (im heutigen Benin) in einer Candomblé-Zeremonie als so genannter „Babalao“ initiieren und nahm den neuen Namen Fatumbi an. In der Einleitung des Katalogbuchs zur Ausstellung heißt es dazu: „Dieser Akt der ‚Wiedergeburt‘ als ein Anderer – wie Verger es in seinen Briefen und Erzählungen mehrmals beschrieb – ließ einige Wissenschaftskollegen an seiner Glaubwürdigkeit zweifeln.“ Théodore Monod, Leiter des Institut Français d’Afrique Noire (Ifan) in Dakar und Auftraggeber Vergers, teilte ihm in knappen Worten mit, dass seine Forschungsgelder „nicht dazu bestimmt seien, aus französischen Ethnologen ‚neue Heiden‘ zu machen“.

Gewiss hatte auch die neue Religion ihre autoritären Seiten. So schreibt der stets bescheiden lebende Fotograf unter dem Foto einer Prozession in Bahía: „Manche verschuldeten sich für ein ganzes Jahr, um sich für eine Prozession aufzuputzen.“ Ja, und ob es dem frisch gebackenen Condomblista (d. h. Gemeindemitglied) gefallen hat, wenn er an der Reihe war, in der Trance einem Huhn oder einem Leguan den Kopf abzubeißen, das wissen wir auch nicht.

Wer glaubt, wird selig. Und wer Götter braucht, der bastelt sie sich eben unter beliebigen Umständen. Das Resultat ist dann mindestens dekorativ. Wer sie aber nicht unbedingt nötig hat, kann hier immer noch jenen Archetypen des kollektiven Unbewussten begegnen, die uns der Psychoanalytiker C. G. Jung vorgestellt hat. Leider muss auch in diesem Pantheon hin und wieder jemand bluten, und wenn es nicht die Sklaven sind, dann sind es eben die Hühner.

Ob nun Christen oder Atheisten, für taz-Leserinnen lohnt es sich allemal, diese Ausstellung zu besuchen, denn glauben Sie mir – ganz unabhängig von Ihrem Glauben: Hier begegnen Sie so manchen alten Bekannten und vielleicht sogar sich selbst in völlig unerwarteter Verkleidung.

Die Ausstellung „Schwarze Götter im Exil – Pierre Verger und Mario Cravo Neto“ ist noch bis zum 7. November im Ethnologischen Museum in Berlin-Dahlem zu sehen. Di.–Fr. von 10 bis 18 Uhr, Sa. und So. von 11 bis 18 UhrEintritt: 4 €, ermäßigt 2 €

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