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Sie fühlt sich jetzt „wohler“

Wie geht es eigentlich der Sängerin Senait Mehari? „Ach, ganz gut“, sagt sie. Die Frau, die 2003 für die taz beim Grand Prix sang, ist wieder im Gespräch. Heute erscheint ihre Autobiografie „Feuerherz“

VON PETER UNFRIED

An diesem Tag regnet es in Berlin. Unangenehm. Selbst in Mitte ist Depri-Wetter. Senait Mehari tritt aus einem Laden, Pizzaschachtel in der Hand.

Sie lächelt. Danke, sagt sie, es gehe ihr „eigentlich ganz gut“. Bisschen hektisch, viel zu tun, vor allem zu reden. Promotion-Arbeit für ihr erstes autobiografisches Buch „Feuerherz“ (Droemer, 19,90 Euro), das heute unter bemerkenswertem Medieninteresse herauskommt. Nur das Wichtigste: In der Berlin-Ausgabe der Bild-Zeitung erscheint derzeit täglich ein halbseitiger Vorabdruck, morgen Abend ist sie in der Talkshow „Drei nach Neun“ (22 Uhr, NDR), die Aufarbeitung ihres Lebens, speziell ihrer Kindheit, hat selbst den hartgesottenen Spiegel berührt.

Geboren wurde Mehari vor 29 Jahren in Eritrea, Nordafrika, in einen Befreiungskampf hinein, der auch ein Bürgerkrieg war. Die Mutter will sie nicht, der Vater liefert sie im Camp der ELF ab, eine von zwei sich bekämpfenden Befreiungsbewegungen. Mit sechs ist sie Kindersoldatin, mit neun Jahren flieht sie in den Sudan, mit elf kommt sie nach Deutschland. Mit 27 tritt sie für die taz beim Eurovision Song Contest an. Sie hat alles überlebt.

Für die Recherche ging sie zurück nach Afrika, reiste in ihre Vergangenheit – und kam platt und leer zurück. Inzwischen, sagt sie, „fühl ich mich tausendmal besser, hab nicht die Angst, die ich vor einem Jahr hatte, wenn ich an manche Kinderstätten gedacht habe“. Das Buch sei „das Beste, was ich tun konnte“.

Der Verlag erwartet sich einiges von ihr. Tut viel. „Feuerherz“ hat eine eigene Homepage. Was Helmut Kohls „Erinnerungen“ im Frühjahr waren, sollen die von Senait Mehari in diesem Herbst sein. „Ihr“ – sie meint ihre deutschen Mitbürger – „wolltet es wissen, nun lest es“, sagt Mehari und spielt damit auch auf den Markt an, der sich für afrikanische Leidgeschichten entwickelt. Es ist nicht so, dass ihr das zurückgekehrte Interesses der Öffentlichkeit nicht gefallen würde. Sie wird reden, bis die letzte Frage gestellt ist. Eigentlich will sie singen, sie definiert sich als Soulsängerin und Songschreiberin. Eine „Erfolgsgeschichte“, sagt sie, werde sie erst sein, „wenn die Leute eines Tages meine Texte mitsingen und ich Konzerthallen füllen kann“. Im Moment hat sie keinen Plattenvertrag, der mit Universal war nach dem Grand Prix 2003 ausgelaufen. Was beide Seiten gut so fanden. Mehari suchte sich dann einen neuen Manager, gemeinsamer Arbeitsansatz: „Klein anfangen und dann groß werden.“ Sie fühlt sich jetzt „wohler“, hat weniger das Gefühl, sie werde missbraucht und gezwungen zu etwas, das sie nicht will.

Im Buch gibt es einen irrsinnigen Satz: „Mein Herz ist nicht gut“, sagt sie zu einer Freundin.

Sie erzählt, dass sie das als Kind so empfand. Etwas in ihr beharrte darauf, sie sei selbst schuld an allem, was ihr widerfahre. Und man könnte darüber spekulieren wollen, wie sich so was in ein Erwachsenenleben verlängert, doch niemand mit einer Mittelklassebiografie in Deutschland, bisschen Schule, Studium und so, sollte sich das anmaßen.

Senait Mehari sagt, sie habe sich in ihrem Berufsleben „früher oft zu etwas überreden lassen, damit ist Schluss, es geht um meine Gefühle und um mein Wollen“. Ja, klar, sie will den Erfolg, will ihn sogar sehr – aber jetzt zu ihren Bedingungen. Doch das ist leider nicht immer einfach. Etwa in der Zusammenarbeit mit Bild. Sie sei „von Anfang an ablehnend gewesen“.

Naja, wie das so geht, der Verlag sagte ihr, sie solle „nicht immer gleich Nein sagen“. Also sagte sie Ja. Als der erste Vorabdruck erschien, war es kein Vorabdruck. Dazwischen schrieb irgendjemand irgendwelche Sätze. Und in der Überschrift stand das Gegenteil von dem, was im Buch steht. Da dachte sie „Scheiße“, am zweiten Tag dachte sie: „Das geht so nicht.“ Am dritten Tag „bin ich dann richtig ausgetickt“. Sie rief die Bild-Redakteurin an, und die sagte ihr, dass es keine Absicht war. Inzwischen hat ihr Verlag arrangiert, dass sie abends die Bild-Version vom nächsten Tag zu sehen bekommt.

Nee, sie will keine Kompromisse mehr machen oder weniger, sie leidet darunter, sie will kein schlechtes Gefühl zurückbehalten, sich ums Verrecken mehr verbiegen.

Aha, das Fax von Bild kommt. Im Artikelentwurf ist die Rede von einer „Flucht nach Hamburg“. Sie regt sich auf („Das war keine Flucht!“), sie gibt Anweisung, das zu ändern. Und am nächsten Tag steht in Bild: „Flucht nach Hamburg“.

Tja: „Ich hab mich gewehrt, so gut ich kann, aber das ist auch knallhartes Business, im Endeffekt entscheidet Droemer-Knaur.“ Senait Mehari ist von einer bemerkenswerten Offenheit, so offen, dass ihr Manager Jobst-Henning Neermann bisweilen unruhig im Stuhl hin und her rutscht. Erklären will, relativieren. „Du neigst dazu, mich unterbrechen zu wollen, übrigens“, sagt sie. Er schweigt. Hält sie sich für widersprüchlich? Oder gradlinig? „Mal so, mal so“, sagt Senait Mehari. Den Grand-Prix-Song „Herz aus Eis“ nannte sie mal „das Beste, was mir als Künstlerin je passieren konnte“. Heute singt sie ihn nicht mehr. Er habe ihr nie gefallen, sagt sie.

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