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theaterDie zeitgemäße Nora: Eine Parabel von zwischenmenschlichen Beziehungen

Eine Frau entdeckt nach acht Jahren, dass ihre Ehe nur auf Unterdrückung beruht und verlässt Mann und Kinder. Als Henrik Ibsens „Nora – ein Puppenheim“ 1879 uraufgeführt wurde, war dieses Plädoyer für die Selbstbestimmung der Frau ein gesellschaftlicher Tabubruch. Das Kölner Theater im Bauturm zeigt, dass dieses Stück auch heute noch hoch aktuell ist.

Der Trick ist einfach: Man versetze Handlung, Bühnenbild und Sprache ins Heute. Im Theater im Bauturm wirkt das nicht künstlich, sondern folgerichtig und stimmig. Regisseur Axel Siefer stellt ein modernes, konsumfreudiges junges Ehepaar auf die Bühne. Die Rollen in der Familie sind klar verteilt: Er ist zuständig für das Geldverdienen, sie für den Haushalt, Torvald sagt, wo‘s lang geht, Nora folgt.

Der Bruch kommt, als Nora mit einer alten Unterschriftenfälschung konfrontiert wird. Damit hatte sie sich heimlich Geld geliehen, um dem todkranken Torvald eine lebensrettende Reise zu finanzieren. Als er davon erfährt, fürchtet er um Ruf und Karriere. Sie interessiert ihn nicht, nicht einmal, warum sie dieses „Verbrechen“ begangen hat. Dafür vergibt er um so großzügiger, als klar wird, dass der Skandal nicht öffentlich wird.

Frank Voß spielt den Torvald als karrierebewussten Softie, hinter dessen höflich-besorgter Maske sich Selbstgefälligkeit und Egoismus verbergen, die unvorhersehbar wie ein Vulkan ausbrechen. Annette Frier (die sich als TV-Comedian unter Wert verkauft) fährt als Nora auf der Achterbahn der Gefühle, bis sie erkennt, nur eine Puppe gewesen zu sein, und ihren eigenen Weg gehen will. Neben diesem exzellenten Duo sind zu loben Gabriele Quast, Oliver Matthiae und Gerhardt Haag, die als „Stichwortgeber“ in der gegenüber dem Urtext stark reduzierten Fassung die Entwicklung der Geschichte vorantreiben.

Endet das Stück bei Ibsen mit dem Auszug Noras, sitzt sich das Ehepaar in dieser Inszenierung tränenüberströmt am Tisch gegenüber – Ende offen. In den Zeiten moderner Paartherapie soll Hoffnung bleiben. So wird das Stück zur Parabel von zwischenmenschlichen Beziehungen schlechthin. Und das Theater im Bauturm löst sein Versprechen ein, im neuen Programm zeitbezogener zu sein. Jürgen Schön

„Nora“: 29. und 30.9., 1.10., 6.10, jeweils 20 Uhr, Theater im Bauturm, Aachener Str. 24, Tel. 0221/52 42 42

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