nebensachen aus porto alegre: Der Erfinder des „Aerobic des Herrn“ floppt im Kino
Vor dem Kino am Alfândega-Platz, dem Prunkstück von Porto Alegres Innenstadt, drängt sich eine Menschentraube. Bestimmt ist wieder ein neuer Actionfilm angelaufen, denke ich mir. Doch anders als sonst sind Frauen klar in der Überzahl, und als ich mich nähere, ragt auch schon ein unverkennbarer Schädel mit Segelohren aus der Masse: Marcelo Rossi, der Poppriester aus São Paulo.
Vor vier, fünf Jahren machte der katholische Charismatiker mit seinen CDs und seinen Popmessen Furore, zu denen im Normalfall Tausende und zu besonderen Gelegenheiten sogar Hunderttausende strömten. Höhepunkt seiner Gottesdienste im Stadtteil Interlagos sind die Sing- und Tanzeinlagen des ehemaligen Turnlehrers und Erfinders des „Aerobic des Herrn“.
Längst wird Rossis sonntägliche Frühmesse Woche für Woche von TV-Globo in die hintersten Winkel Brasiliens übertragen, Dutzende Radiostationen senden seine täglichen Rosenkranzgebete. Selbst viele fortschrittliche Kleriker haben sich Rossis Massenerfolg gebeugt: Die charismatischen „Erneuerer“ schafften es am ehesten, den katholischen Glauben unter die Leute zu bringen, meint Bischof Ivo Lorscheiter aus Südbrasilien.
Nun hat Rossi ein neues Projekt in Angriff genommen: Zum landesweiten Start von „Maria – Die Mutter des Gottessohnes“, einer aufwändigen Produktion aus dem Umfeld des Globo-Konzerns, ist er nach Porto Alegre und in weitere zehn Großstädte gereist. Ohne den mittlerweile 36-Jährigen wäre der Spielfilm – angeblich der „erste aus der Perspektive Marias“ (Rossi) – so nicht zustande gekommen: Padre Marcelo, wie ihn seine Fans nennen, will die Idee zu dem Projekt bekommen haben, als er vor Jahren den Papst reden hörte: „Er hat gesagt: Geht raus aus den Kirchen, holt die Katholiken ab – und da ist bei mir der Groschen gefallen.“
Rossi suchte die Hauptdarsteller aus und ließ sich ein Drehbuch auf den Leib schreiben, bei dem er „ganz er selbst“ bleiben kann: als Dorfpfarrer, der einer Siebenjährigen die Mariengeschichte erzählt, und als Erzengel Gabriel („ohne Flügelchen“), der der Gottesmutter die Empfängnis verkündet. Als ich mir eine Woche später das nach dem pseudorealistischen Strickmuster von Globo-Telenovelas gefilmte Gesamtkunstwerk an gleicher Stelle zu Gemüte führe, verliere ich mich mit 20 weiteren Zuschauern im Kinosaal. Etliche Vorstellungen wurden mangels Masse bereits gestrichen, verrät die Dame an der Kasse. Stunden später tritt Rossi in einer Globo-Talkshow auf. Und da fällt bei mir der Groschen: Ohne Musik und Tanz ist der Aerobic-Priester einfach nur langweilig.GERHARD DILGER
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