piwik no script img

Die heilende Kraft des Vergessens

Mit der Ausstellung „Bremer ,Malweiber‘ um 1900: Zwischen Tradition und Moderne“ versucht das Kulturzentrum Belladonna historische Ungerechtigkeiten auszumerzen und zum Worpsweder Kunstrummel aufzuschließen

Das Tosen des Gewittersturms ist im Augenblick eingefroren. Der Betrachter registriert den zerzausten Baum am linken Bildrand, in dessen Schutz sich die Silhouette eines Schäfers gegen den dunklen Horizont abzeichnet, aufgetragen mit nur wenigen, schnellen Pinselstrichen. Im Vordergrund graue Flocken: eine Schafherde. Ein echter Mackensen? Nein. Das Bild ist von Emmy Meyer.

Die kennen Sie nicht? Kein Wunder: Sie gehört zu einer Reihe vergessener Bremer Malerinnen, die sich um die Jahrhundertwende ihren Zugang zur Männerdomäne desKunstbetriebs erkämpften. Lob ernteten sie dafür allerdings höchstens zu Lebzeiten. Danach gerieten sie in Vergessenheit – im Gegensatz zur männlich dominierten Worpsweder Künstlerclique.

Diese Ungerechtigkeit soll jetzt eine Ausstellung mit dem Titel „Bremer ‚Malweiber‘ um 1900: Zwischen Tradition und Moderne“ im Kulturzentrum Belladonna bekämpfen. Es werden Werke von sieben Malerinnen aus Bremen und dem Umland gezeigt, die von 1900 an mit Pinsel und Staffelei zum Malen in die Natur pilgerten.

„Ich möchte diese Frauen wieder in einen Rang erheben, der sich mit dem der Worpsweder Männer messen kann“, erklärt die Kuratorin Hannelore Cyrus. Die Schau verfolgt also ein politisches Ziel. Die Präsentation indes hätte durchaus politischer geraten können: Nur der begleitende Katalog bettet die Bilder in den gesellschaftlichen Kontext ein. Im Ausstellungsraum hat die Kuratorin darauf verzichtet, die männliche Repression oder die kavalierhafte Lobhudelei zu thematisieren, denen die Künstlerinnen noch weit nach 1900 ausgesetzt waren. Nach Cyrus‘ Vorstellung soll der Wert der Werke „allein durch die Wirkung der Bilder“ zu erkennen sein.

Dieser selbstauferlegte Zwang lässt die Schau beinahe scheitern. Zum einen nämlich wird der politische Anspruch verschleiert. Zum anderen aber sind die Bilder für sich betrachtet eher zweitklassig: Blumen-Stillleben, Heidelandschaften und dann und wann ein Hauch Moderne aus dem Bremer Hafen.

Der internationale Kunstbetrieb folgt gnadenlos dem Prinzip der Avantgarde: Wer zuerst kommt, malt die Maßstäbe. Und die Bremer Künstlerinnen, deren Bilder noch in den 1920ern deutlich impressionistische Züge aufweisen, sind von ihren avantgardistischen ZeitgenossInnen weit entfernt.

Wodurch die Ausstellung am Ende ihrem Anspruch, eine Nähe dieser Künstlerinnen zur Gruppe der Worpsweder Maler herzustellen, doch noch gerecht wird. Denn: Der Zug der Kunstgeschichte muss zwar einmal in Worpswede gehalten haben. Doch eingestiegen ist nur die unvergleichliche Paula Modersohn-Becker. Ihr werter Herr Gemahl aber hat die Abfahrt ebenso verpasst wie etwa Fritz Mackensen, Fritz Overbeck und Hans am Ende. Oder eben die „Bremer Malweiber“. Tim Ackermann

„Bremer ,Malweiber‘ um 1900“: noch bis zum 12. Dezember im Kulturzentrum Belladonna. Katalog: 5 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen