Off-Kino: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Die Tatsache, dass amerikanische Kinozuschauer keine untertitelten Filme sehen mögen, führte in den letzten Jahren zu einer Vielzahl von Hollywood-Remakes europäischer Kassenerfolge – oftmals gedreht von den Regisseuren des Originalfilms, die einen derartigen Auftrag als mögliches Sprungbrett für eine Karriere in den USA ansahen. Auch „Freeze – Alptraum Nachtwache“ ist ein solches Remake, an dessen Anfang der dänische Regisseur Ole Bornedal eine Hommage an den amerikanischen Horrorfilm der Dreißigerjahre setzt. Ein düsteres Spital mit endlosen leeren Korridoren, die Pathologie mit ihrem Schreckenskabinett menschlicher Präparate in Formalin, eine weiß getünchte Leichenhalle mit den aufgebahrten Verblichenen: Klar, dass dem neuen Nachtwächter Martin (Ewan McGregor) die Einbildungskraft da so manchen Streich spielt. Zunächst geht es um ganz klassische Schocks: den Wecker, dessen schrilles Rasseln jäh die Stille zerreißt, oder den unheimlichen Besucher, der unvermittelt lautlos in Martins Pförtnerloge eintritt. Doch schon bald wird der Film zum „Whodunit“, und die Frage nach der Identität des Serienkillers und Leichenschänders, den man gleich zu Beginn schon einmal in Aktion gesehen hatte, tritt in den Vordergrund. Dabei bringen manipulierte Indizien den Nachtwächter, den Ewan McGregor mit weit aufgerissenen Augen als schlachtreifes Opferlamm spielt, immer stärker in Bedrängnis. Als das Tätersuchspiel schließlich beendet ist, kommt noch einmal mächtig Schwung in die „Nachtwache“: Liegen Martin und seine Freundin Katherine (Patricia Arquette) nämlich erst einmal angeschnallt auf dem Seziertisch, während der irre Mörder den surrenden Schädeldeckenbohrer zur Hand nimmt, dann regiert der blanke Terror.
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Der Anfang verspricht eine friedliche Idylle: Eine sanft geschwungene Hügelkette spiegelt sich in einem See, beleuchtet vom ersten Licht der aufgehenden Sonne. Am Schluss steht eine Utopie: Häuptling Bromden (Will Sampson), hünenhafter Insasse der in dieser Landschaft gelegenen geschlossenen psychiatrischen Anstalt, reißt einen riesigen marmornen Hydranten aus der Verankerung im Bad, wirft die Fenster ein und flüchtet leichtfüßig in die Freiheit. Zwischen diesen Bildern entwickelt Regisseur Milos Forman in „Einer flog über das Kuckucksnest“ eine Parabel über die Ohnmacht und den Anpassungsdruck des Individuums im Angesicht eines repressiven Systems, eingekleidet in ein tragikomisches Drama über Leben, Sterben und Dahinvegetieren in der Irrenanstalt. Im Mittelpunkt steht die Auseinandersetzung zwischen Neuzugang Randle P. McMurphy (Jack Nicholson) und Oberschwester Mildred Radget (Louise Fletcher), deren totalitäres Regime sich stets hinter pseudodemokratischem Gehabe verschanzt. McMurphy beginnt, ihre Autorität mit der Infragestellung des ewig gleichen Tagesablaufs und veritablen Streichen zu untergraben – und muss nahezu zwangsläufig scheitern, nicht zuletzt, weil er den Ernst der Lage nie wirklich begreift.
LARS PENNING
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