erregung in paris über „la maîtresse de brecht“: Der Preis ist heiß
JACQUES-PIERRE AMETTE und sein Buch „La Maîtresse de Brecht“ sind in Paris das Thema der Woche. Das liegt längst nicht nur daran, dass Amette gerade den wichtigsten französischen Literaturpreis bekommen hat.
„Sieh an! Wieder jemand, der Radio hört“, witzelt der Buchhändler, als er „La Maîtresse de Brecht“ einpackt. Erst vor einer Stunde hat der Roman von Jacques-Pierre Amette den bekanntesten aller französischen Literaturpreise erhalten. Jetzt läuft die allherbstliche Maschine auf vollen Touren. Der Verlag hat Eilaufträge zum Nachdrucken gegeben. Die Buchhändler haben Schildchen „Prix Goncourt 2003“ aufgestellt. Und die Kunden stehen Schlange. Der Laden im Zentrum von Paris hat das prämierte Buch binnen zehn Minuten sechsmal verkauft.
Kassenschlager werden die Prix-Goncourt-Bücher immer. 100.000 Exemplare sind das Mindeste. Manchmal geht der Verkaufserfolg in die Millionen. In diesem Jahr, dem hundertsten der Existenz des Prix Goncourt, haben sich die Jury-Mitglieder zusätzlich einen Coup ausgedacht: Sie haben ihre Entscheidung zwei Wochen vor dem angekündigten Termin getroffen.
Die Mitglieder der anderen Literaturpreisjurys – „Fémina“, „Médicis“, „Renaudaut“ und „Académie Française“ –, die ebenfalls im Herbst über ihre Preise entscheiden, reagierten stinksauer. Erst vor wenigen Jahren hatte die Fémina-Jury mit der Goncourt-Jury einen Terminplan ausgehandelt, um sich nicht gegenseitig die Schau zu stehlen. Jetzt schimpft die Präsidentin der düpierten Fémina-Jury, Régine Desforges, im Fernsehen: „betrüblich“. Andere Jury-Mitglieder benutzen das unfeine Wort: „stupide“. Aber Goncourt-Präsidentin Edmonde Charles-Roux rechtfertigt ihr Vorpreschen. „Angesichts des Interesses von zahlreichen großen französischen Unternehmen wollten wir die Ersten sein“, sagt sie ungerührt.
Der Prix Goncourt, so wollte es sein Gründer Edmond de Goncourt, sollte „junge Literatur, „mutiges Denken“ und „neue Formen“ auszeichnen. Doch der diesjährige Preisträger ist Anfang 60, hat bereits 18 Romane sowie ein paar Essays, Theaterstücke und Krimis veröffentlicht und gehört als langjähriger Literaturkritiker der rechten Wochenzeitung Le Point zum Serail des Pariser Literaturgeschäfts.
Besonders innovativ ist sein Roman auch nicht. Er spielt aufdem Höhepunkt des Kalten Krieges, in Ostberlin, wo der aus dem US-amerikanischen Exil zurückgekehrte alternde Brecht auf eine (fiktive) österreichische Schauspielerin trifft, die ihn im Auftrag der Stasi verführt und ausspioniert. Amette, der Brecht nach eigenem Bekunden „als Dichter“ bewundert und ihn als Ideologen „verachtet“, befasst sich im kalten Stil von John le Carré mit einem Staat, den er in den 60er- und 70er-Jahren oft besucht hat. 13 Jahre nach dem Verschwinden der DDR entdeckt Amette die Spießigkeit ihres Spitzelmilieus.
Trotz dieses Mangels an Originalität wird der Prix Goncourt, gefolgt von den anderen Literaturpreisen, die Bücherstapel auf den französischen Ladentischen lichten. Im September sind mehr als 600 literarische Neuerscheinungen auf den französischen Markt gekommen – doppelt so viele wie zehn Jahre zuvor. Davon werden vor allem die prämierten Werke im Vorweihnachtsgeschäft bestehen. Die Bücher von kleineren französischen Verlagen und unbekannteren AutorInnen werden wieder kaum eine Chance haben.
DOROTHEA HAHN, PARIS
Jacques-Pierre Amette: „La Maîtresse de Brecht“, Albin Michel, Paris 2003, 301 Seiten, 18,50 €
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