KIRSTEN FUCHS über KLEIDER: lch bin wild und kratze beim Sex
Der Mensch trägt bisweilen Kleidung mit Tiermustern. Leopardenstyle, Zebrastreifen, Kuhflecken. Wozu? Eine Analyse
Von jeher trägt der Homo sapiens die Haut anderer Lebewesen über seiner Haut. Diese ist nämlich zu dünn, um gegen das Klima anzukönnen. Der Mensch scheint für einen immerwarmen, aber schattigen Strand vorgesehen zu sein, und da er das instinktiv ahnt, fährt er gerne an solche Orte, um dort Urlaub zu machen. Die restlichen Wochen des Jahres muss er aber mehr als eine Badehose tragen. Und so hüllt der Mensch sich in Geflecht aus Tierhaar oder gleich Tierhaut. Seit der Chemiefaser (West: Polyester, Ost: Dederon) besteht eigentlich nicht mehr die Notwendigkeit, Tiere zu scheren oder zu häuten.
Theoretisch: denn praktisch ist Made by nature natürlich schöner. Und teurer! Darum ist die Idee schlechthin: Chemiefasern mit Tiermustern bedrucken. Billig und PC (sprich: pici, nicht pezeh). Noch dazu können exotische Muster getragen werden. Echte Giraffenleggins sind sicherlich nicht nur unerschwinglich, sondern auch nicht elastisch.
Der europäische Mensch neigt ja dazu, Exotik in sein Leben zu bringen. Haitianischen Voodoomasken und Kerzenständer aus dürren Ebenholzmännchen. Soll vermitteln: nicht meine Einrichtung ist exotisch und wild und multikulti, sondern ich. Genau dasselbe bei Klamotten: Oberteil mit Leopardenmuster (ich bin wild und kratze meine Sexualpartner); Tasche mit Zebrastreifen (ich bin ein Herdentier und weltoffen und tierlieb); Hose mit Schlangenschuppen der Durango-Königsnatter (ich kann dich in Versuchung führen und meinen Kiefer ausrenken).
Aber was sagen dann Kuhmuster aus? Kuhflecken sind seit ein paar Jahren fester Bestandteil, ich sag’s mal ganz, ganz oberflächlich, der schwulen Technoszene. Was sagt das aus? Hat die Aussage was mit Drogen zu tun? Ich bin wie die deutsche Milchkuh vollgepumpt mit Hochleistungsmedikamenten? Ich esse gerne Gras? Ich bin Vegetarier?
Mein Geschmack sind Tiermuster eh nicht, nur an Tieren. Neben den klassischen Drucken (Großkatzen, Zebra, Giraffe, Kuh) haben sich andere Tierzeichnungen auf Bekleidung nicht richtig durchgesetzt. Keine Frau will Leggings mit Elefantenhaut. Das ist Geschmackssache und auch ein bisschen abhängig von dem Image, welches einem Tier anhaftet bzw. angehaftet wird. Wildschweinfrischlinge z. B. sehen sehr hübsch aus: beige mit dunkelbraunen Streifen, aber die Message … (ich heiße Eberhard, fresse gerne Eicheln, und werd’ mal ’ne richtig große Sau?).
Auch die schöne Schwanzpracht des Ährenträgerpfaumännchens wird von der Bekleidungsindustrie noch nicht so genutzt, wie sie könnte (ich kann Rad schlagen?). Und die Rücken der Damhirsche sind erst bezaubernd, mit Punkten verziert. Aber bis man erklärt hat, was das für ein Look ist … ein Damhirsch … ja, kommt in Europa vor … nee, macht nichts Besonderes …
Selbstverständlich trägt der Mensch auch echtes Fell, denn im Zweifelsfall gilt dann doch, besser Pelz als nackt. Wem da das Tierschützerherz puckert oder der Geldbeutel jammert, für den gibt es Kunstfell: Alle Großkatzenmuster und ganz vorne mit dabei: unsere ehrliche deutsche Milchkuh.
Ich muss das nicht verstehen. Ich muss das nur beobachten und sicherlich überschätzen. Kleidung ist Kleidung ist Kleidung.
„Es hält warm“, sagt die Vernunft. „Es schmückt“, sagt die Eitelkeit. „Es ist modern“, sagen die Frauenzeitschriften. „Es ist, was es ist“, sagt die Kleidung.
Tiermuster sind vielleicht einfach nur Streifen oder Punkte, an denen niemand ein Recht hat, weil Tiere keine Manager haben. Ihren eigentlichen Sinn als Tarnung erfüllen die Streifen und Punkte an uns nackten Zweibeinern überhaupt nicht mehr. Im Menschenmeer tarnen Pantherpantalons nicht. Sie fallen eher auf. Tarnsachen vom Militär sind ja auch so ein Thema. Ich trage gerne Militärsachen und ich finde gar nicht, dass das was aussagt (ich bin gefährlich. Ich hab ’ne Machtmacke. Ich will Krieg spielen und bin gegen den Staat).
Nein, keine Aussage!
Fragen zu Kleidern? kolumne@taz.deMorgen: Robin Alexander über Schicksale
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