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ITALIEN: DIE FLÜCHTLINGE SIND UNTERPFAND DER AUSSENPOLITIKGescheiterte Libyen-Diplomatie

Voller Euphorie präsentierte Italiens Regierung in den letzten Monaten ihre Erfolge bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung. Kaum ein Boot mehr landete, aus Tunesien oder Libyen kommend, auf Lampedusa oder Sizilien an. Vor allem die diplomatischen Kontakte zu Gaddafi schienen Früchte zu tragen; trotz schönen Wetters und idealer Bedingungen für die Überfahrt blieben im August und September die Flüchtlinge einfach aus. Jetzt herrscht Ernüchterung bei den Politikern und Entsetzen in der Bevölkerung. Fast täglich kommen Horrormeldungen von gekenterten Booten, von dutzenden Flüchtlingen, die ertrunken oder verdurstet sind. Und tausende Menschen warten in Libyen auf die Abreise, hunderte sind schon auf dem Weg – jenem Weg, den die Regierung doch endgültig versperrt glaubte.

Das liegt zum einen daran, dass die Regierungen in Tunis und Tripoli eben nicht Außenstellen des italienischen Innenministeriums sind. Sie bekämpfen Schleuserbanden nur, wenn auch sie sich einen Vorteil ausrechnen können. Wenn Italien das reguläre tunesische Einwandererkontingent zusammenstreicht, öffnen sich dort eben die irregulären Kanäle wieder. Und wenn Gaddafi bloß schöne Worte und ein bisschen Polizeikooperation erhält, nicht aber ein Ende seiner internationalen Ächtung, dann nutzt auch er die Immigrantenströme als Karte im diplomatischen Poker.

Doch selbst wenn alle Südanrainer des Mittelmeers auf Linie gebracht wären: Italien und Europa täten gut daran, sich davon nicht ein Ende der Zuwanderung zu erwarten. Die Fluchtbewegung hat auch deshalb wieder eingesetzt, weil die Schlepperbanden ihre Logistik den neuen Bedingungen angepasst haben: Nach den großen Schiffen und nach den Fischkuttern werden jetzt kleine Kähne eingesetzt, die bei der Abfahrt schlechter zu kontrollieren sind – und auf denen die Schlepper schon gar nicht mehr mitfahren. Ihr Risiko ist minimiert, das der Passagiere dagegen maximiert. Eine Schlechtwetterfront reicht, um ihre Reise zum Todestrip zu machen. Antreten wollen sie sie trotzdem. MICHAEL BRAUN

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