ERINNERUNGEN AN DEN KALTEN KRIEG: TAIWAN UND DIE VOLKSREPUBLIK: Wettrüsten und Wortgefechte
Der Konflikt zwischen der Volksrepublik China und Taiwan erinnert immer mehr an die Zeiten des Kalten Kriegs in Europa. Gestern bot der in diesem Jahr zum zweiten Mal ins Amt gewählte taiwanische Präsident Chen Shui-bian der Volksrepublik neue „Friedensgespräche“ an. Zugleich forderte er das Parlament zur Ratifizierung eines 18-Milliarden-Dollar-Waffenpakets auf, das seine Regierung in Washington bestellt hat.
Doch diese Logik einer von diplomatischer Rhetorik nur notdürftig verdeckten Hochrüstung ruft auch eine neue Friedensbewegung in Taiwan auf den Plan. Weil sie gegen einen Rüstungswettlauf mit der Volksrepublik sind, demonstrierten vor wenigen Tagen zehntausend Taiwaner vor den Toren ihres Präsidentenpalasts, wie einst die Friedensbewegung in Westeuropa. Was nicht zuletzt Peking überrascht haben muss: Denn wenn in den letzten Jahren auf Taiwan demonstriert wurde, waren es meist die Unterstützer der taiwanischen Unabhängigkeitsbewegung. Doch zur demokratischen Kultur der Unabhängigkeitsbewegung passt eben auch der Widerstand gegen die Aufrüstung.
Wie einst während des Kalten Krieges dominiert aber auch im Taiwankonflikt heute die Großmachtpolitik. Washington und Taipeh sind sich einig, dass sie ihren Waffendeal durchziehen wollen: Es geht um U-Boote und Patriot-Raketensyteme. Und wie einst in Europa wird das Geschäft als Nachrüstung verkauft – da Peking laut Chen die Insel mit einer jährlich wachsenden Zahl von heute mehr als 600 Raketen bedrohe. Schon hat Chens Regierung mit der Zerstörung Schanghais gedroht, sollte die Volksrepublik Taiwan angreifen wollen. Zudem sind gezielte Vergeltungsschläge wie die Bombardierung des Drei-Schluchten-Damms im Gespräch.
Nun behaupten internationale Beobachter zwar immer wieder, dass keine Seite im Taiwankonflikt es wirklich ernst meine und lediglich aus innenpolitische Gründen handele. Doch wird man den Eindruck nicht los, dass das Spiel gefährlicher wird. In Peking, wo kein Gorbatschow in Sicht ist und die Taiwanfrage den Nationalismus schürt, sowieso. Aber zunehmend auch in Taipeh.
GEORG BLUME
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