: Schwarz-Grün legt Kiez trocken
Die Innenbehörde möchte den nächtlichen Verkauf und das Mitführen von Flaschen auf dem Kiez an Wochenenden und Feiertagen verbieten. Dafür wird eigens ein Gesetz verabschiedet
Vier Millionen BesucherInnen verzeichnete der Kiez im vorigen Jahr. Im Sommer schlendern an einem Wochenenden über 200.000 Menschen über die Reeperbahn oder tummeln sich vor den Kneipen und Discotheken. Das nun angestrebte Flaschenverbot ist für eine Amüsiermeile einzigartig. Lediglich beim Kölner Karneval hat es schon mal eine Anordnung gegeben, am späten Abend keine Flaschen zu verkaufen. KVA
VON KAI VON APPEN
Der Kiez wird nach dem Willen des schwarz-grünen Senats zur Pappbechermeile. Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) kündigte am Montag an, noch vor den Sommerferien ein Gesetz für ein abendliches Verkaufs- und Mitführverbot von Glasflaschen unter Dach und Fach bringen zu wollen. „Wir wollen das Vergnügen nicht einschränken, aber wir wollen die Sicherheit der Menschen erhöhen“, sagte Ahlhaus im Anschluss an die Sitzung des runden Tisches Reeperbahn. Daher werde er nun den „Spagat“ unternehmen, „eine Balance zwischen Sicherheit und Attraktivität herzustellen“.
Damit werden die Freiheiten auf der Amüsiermeile weiter abgebaut. Seit 2006 wird die Reeperbahn und angrenzende Kreuzungen videoüberwacht, Flanieren ist somit nur unter Polizeiaufsicht möglich. Seit Dezember 2007 besteht für den Kiez – also auch angrenzenden Straßen zur Reeperbahn – ein generelles Waffenverbot, was immer wieder mittels lageunabhängiger Großkontrollen oder verdachtsunabhängiger Personen-Durchsuchungen durchgesetzt wird. Dazu ist eigens das Polizeigesetz verschärft worden.
Nun soll von Freitag bis Sonntag zwischen 22 und sechs Uhr morgens der Verkauf und das Mitführen von Glasflaschen verboten werden. Das soll auch für die Nächte vor und nach einem Feiertag gelten. Das Verbot erstreckt sich nicht nur auf Bierflaschen, sondern auch auf Wein-, Sekt-, Spirituosen- oder Mineralwasserflaschen, erklärte Ahlhaus. „Wir wollen verhindern, dass sie Glasflasche als gefährliche Tatwaffe zum Einsatz kommt.“
Zuvor hatte sich Ahlhaus beim dritten runden Tisch mit den Einzelhandels- und Gaststätten-Verbänden, der Interessengemeinschaft St. Pauli und anderen Behörden getroffen. Der Innensenator sagte, die „freiwillige Selbstverpflichtung“ der Gewerbetreibenden vom vorigen Jahr, nachts keine Flaschen zu verkaufen, habe durchaus Wirkung gezeigt. Es stelle sich jedoch die Frage: „Geben wir uns damit zufrieden oder gehen wir einen Schritt weiter?“
Die Zahl von 128 Köperverletzungen mit Flaschen im Jahr 2008 sei immer noch hoch: „Es sind noch viel zu viele.“ Zudem verzeichne die Polizei einen Trendwende – nicht alle Läden hielten sich an die Selbstverpflichtung. „Die Zahl sinkt wieder, weil die Imbissbuden einfach nicht mitmachen“, klagte Ahlhaus. „Wenn jemand freiwillig auf Umsatz verzichtet, der Nachbar aber auf seine Kosten den Umsatz steigert, macht derjenige bald auch nicht mehr mit.“
Deshalb müsse der Senat jetzt zu „restriktiven Maßnahmen“ greifen. Das Flaschenverbot werde im Bereich der bisherigen Waffenverbotszone greifen. Die entsprechenden Warnschilder würden ergänzt. Umgesetzt werden soll dies mit Bußgeldern von bis zu 5.000 Euro, die von der Polizei oder dem Bezirklichen Ordnungsdienst verhängt werden.
In Kneipen dürfen Flaschen innen zwar weiter ausgeben werden. Wer jedoch mit der Pulle in der Hand vor der Tür eine Zigarette raucht, ist dran. „Der Kiez ist einzigartig, da bedarf es eben einzigartige Maßnahmen“, verteidigte der Innensenator die „Sondersache St. Pauli“. Ahlhaus: „Ich glaube, dass die Maßnahme auf große Akzeptanz stoßen wird, und der Kiez weiterhin attraktiv bleibt.“
Die SPD-Bürgerschaftsfraktion signalisierte Zustimmung: Die Maßnahmen seien „mehr als überfällig“, sagte deren Innenexperte Andreas Dressel. Doch die Linkspartei ist strikt gegen das Flaschenverbot. Die Reeperbahn sei schon eine Gefahrengebietszone, in der es dauernd Kontrollen gebe, sagt Christiane Schneider von der Linkspartei. Mit dem Flaschenverbot „gibt es noch mehr Kontrollen“, ist sich Schneider sicher. Das Verbot werde aber „nicht zum Abbau von Aggressivität beitragen“.
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