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Berlin – Germany – Old Europe

Für George W. Bush klebt sich taz-Redakteur Bernhard Pötter sogar ein Deutschland-Banner aufs Laufhemd. Mit ihm kommt er nach 3:51:34 Stunden ins Ziel. Damit belegt er den hervorragenden 6.941. Platz des diesjährigen New-York-Marathons

aus New York BERNHARD PÖTTER

Der Präsident der USA, George W. Bush, ist ein mächtiger Mann. Er lässt fremde Länder besetzen, kurbelt die US-Wirtschaft wieder an und bringt Menschen wie mich dazu, sich eine Deutschlandfahne auf die Brust zu kleben. Denn in New York ist auch zwei Jahre nach dem 11. September das Sternenbanner immer noch überall. Als lustig flatternder Wimpel an Privatautos. Auf den U-Bahn-Zügen. Auf Halloween-Kürbissen. Auf Baustellen. Auf Särgen, die im Leichenwagen über den Highway fahren.

Bei so viel offensiv gezeigtem Patriotismus gibt es nur eine Gegenwehr: Flagge zeigen. Also ging der Vorabend des diesjährigen Marathons für eine schwarz-rot-goldene Bastelarbeit drauf. Der Schriftzug „Berlin–Germany–Old Europe“ sorgte für Klarstellung im deutsch-amerikanischen Verhältnis. Dort die Fahnen schwingenden Hurrapatrioten, hier die multilateralen Peacemaker. So weit die Theorie.

Es folgt die Praxis: Sonntagfrüh gehen 35.104 Läuferinnen und Läufer an den Start des 34. New York City Marathons. Das Wetter ist knapp 20 Grad warm, und die Strecke windet sich die berüchtigten 42 Kilometer durch alle fünf Stadtteile. Zwei Millionen Zuschauer säumen die Straßen und jubeln den Läufern zu, von denen jeder Dritte aus dem Ausland kommt. Fahnen werden an jeder Ecke geschwungen. Nur kaum Sternenbanner.

Schon der Start am historischen Fort Wadsworth in Staten Island ist eine kleine Enttäuschung: keine Sternenbanner, keine tief fliegenden Militärjets. Ein kleines US-Fähnchen findet sich gerade mal auf den Trinkflaschen, den Mietklos oder den Abzeichen der Ordnungshüter. Die ersten zwei Meilen nach dem Start um kurz nach zehn über die Verrazano Narrows Bridge werden dominiert von der Fahne der Republik Südafrika, die direkt vor mir über das Pflaster schleicht. In Brooklyn biegen wir für fünf Meilen auf die schnurgerade 4th Avenue. Am Straßenrand stehen dicht gedrängt die New Yorker. Die Verkehrssprache ist Spanisch, es dominieren die Fahnen Lateinamerikas. Auf den Rücken der Läufer bilden sich erste Schweißflecken zwischen den offiziellen Farben von Mexiko, Peru und Venezuela. Bei Meile 8 stolpert ein Mittfünfziger, Marke Vietnamveteran, an mir vorbei. Um den Kopf hat er ein Tuch in den Farben der US-Fahne gebunden. Immerhin etwas.

Ab Meile 12 versammeln sich um mich herum wie zufällig die Alliierten der USA: Henry aus Großbritannien, zwei Australier und ein Team von Polen, ehe es über die Pulaski Bridge mit Ausblick auf die kastrierte Skyline Manhattans in den Stadtteil Queens geht. Insgesamt fünf Brücken haben wir Läufer zu bewältigen, alle mit steilen Auffahrten versehen. Sie sind die höchsten Erhebungen auf dem Kurs durch eine Stadt, die sich den Läufern von ihrer Berg- und Talseite zeigt. Auf der Rampe zur Queensboro Bridge über den East River nach Manhattan (gleich gegenüber liegt das UN-Hauptquartier!) machen sich dagegen die Kriegsgegner so breit, dass man kaum an ihnen vorbeikommt: Die Franzosen sind gar mit eigenen „France“-Trikots angereist, unterstützt von einem Läufer mit EU-Sternenkranz. Auf der Brücke dann endlich der erste US-Patriot: ein ärmelloses Shirt in den Farben der Nation.

Auf der First Avenue in Manhattan geht es nach Norden. An den Wasserständen dominieren plötzlich die italienischen Trikots. Dänen und Holländer zeigen gewohnt souverän ihre Fahnen, Korea (Süd), eine ganze Gruppe Schweizer im gleichen Rot wie das medizinische Personal. Trotz einiger politischer und geografischer Skrupel rechne ich das kanadische Pärchen bei Meile 16 zur Kategorie „Nordamerika“. Vor mir trabt ein Läufer mit einem Sternenbanner auf der Turnhose. Patriotismus auf dem Hintern? Eine versteckte Kritik an der Bush-Regierung?

Der Kurs traut sich am Nordende Manhattans für eine knappe Meile in die Bronx (allerdings traben wir an einer großen Polizeiwache vorbei, sicher ist sicher). Dann geht es wieder nach Süden, in Richtung Central Park und Ziel. Eine Läuferin präsentiert die Fahne von Texas auf ihrer Hose. Gilt das als Propaganda oder als Stolz auf regionale Eigenarten? Ein Mitglied der New Yorker Polizei schwört auf seinem klatschnassen Rücken bei Meile 23: „9-11-01 – We will never forget“. Doch die meisten Amerikaner erklären lieber, sie liefen „for Abby, Ron and Sam“, sie präsentieren auf Brust und Rücken lieber Fotos von ihren Familien, Verstorbenen oder Hunden.

Kurz vor dem Ziel höre ich plötzlich verstärkt Anfeuerungen: „Go, Germany, go!“ Auslandsdeutsche? Amerikanische Dissidenten? Bratwurstliebhaber? Trotzdem steht mein Entschluss spätestens im Ziel fest: Das nächste Mal laufe ich wieder als Privatmann. Wenn hier jemand Flagge zeigt, dann nicht die Amerikaner. Und im Gewühl von 35.000 Kleiderbeuteln, 50.000 Litern Gatorade und 140 Millionen Dollar Umsatz in der Stadt kommen die Nuancen der Weltpolitik nicht immer ausreichend zur Geltung. Die Frau, die mir danach meine Kleider reicht, schaut auf mein Statement und sagt: „Old Europe? Was hast du gegen die erweiterte EU?“

Ach ja: Gewonnen haben natürlich die Kenianer. Martin Lel in 2:10:30 Stunden, bei den Frauen Margaret Okayo mit dem neuen Streckenrekord von 2:22:31. Eine kenianische Flagge habe ich unterwegs nicht gesehen.

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