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Irans Kernkraftwerk fehlt noch der Kern

Zwar könnte das neue AKW in Buschehr als Ruine enden – das Aus für die iranische Atompolitik wäre das aber nicht

BERLIN taz ■ Das iranische Atomkraftwerk in Buschehr ist fertig. Neunundzwanzigeinhalb Jahre dauerten die Maurerarbeiten, jetzt fehlt nur noch eine – allerdings entscheidende – Sache: der Kern. Die Brennelemente für den Reaktor warten seit Monaten in einem russischen Hafen auf ihre Verschiffung, weil sich Russen und Iraner nicht über den Preis einigen können.

Der Bau war am 1. Mai 1975 mit einem fröhlichen Spatenstich begonnen worden. In der iranischen Hafenstadt Buschehr sollte die deutsche Kraftwerkunion der Siemens AG einen Atomreaktor mit einer Leistung von 1.200 Megawatt hochziehen. Doch die Arbeiten verzögerten sich, und als 1980 der Krieg mit dem Irak begann, wurde die Anlage wiederholt von Kampfflugzeugen angegriffen, mehrere Techniker kamen ums Leben. Die Deutschen zogen sich daraufhin vom Projekt zurück. Für zehn Jahre ruhten alle Aktivitäten.

1995 nahm die iranische Regierung einen zweiten Anlauf. Mit dem Moskauer Unternehmen Atomstroiexport, das jetzt zum Gazprom-Konzern gehört, wurde vereinbart, das Werk bis 1999 zu beenden. Ab da arbeiteten bis zu 2.600 Ingenieure und Arbeiter des russischen Maschinenbauers OMZ in Buschehr.

Statt der ursprünglichen Siemensanlage steht nun also seit Anfang Oktober ein russischer Leichtwasserreaktor vom Typ VVER-1000 am Persischen Golf. Von diesem Typ gibt es weltweit nur 15 AKWs. Neun Anlagen sind in der früheren Sowjetunion in Betrieb, fünf noch im Bau – neben Buschehr je zwei Reaktoren in Indien (Kundalam) und der Volksrepublik China (Jiangsu Tianwan).

Die iranische Anlage ist ein VVER-1000 des Modells V-446. Das Objekt ist ein Einzelstück, weil die russischen Exporteure beim Bau die speziellen Wünsche ihrer AKW-Kunden berücksichtigen. Eigentlich müssten bis Ende 2005 die Testläufe durchgeführt, das Betriebspersonal geschult und der Reaktor mit den Brennelementen beladen sowie angefahren werden. Doch noch fehlen die nuklearen Brennelemente: immerhin 47.867 Stück mit maximal 75 Tonnen Urandioxid, das zu 4,4 Prozent mit Uran 235 angereichert ist.

Dabei hatte die iranische Atomenergiebehörde AEOI bereits am 6. März 2003 mit dem Moskauer Unternehmen TVEL einen Liefervertrag unterzeichnet. Beide Seiten kamen überein, verbrauchte Brennelemente von dem Moskauer Betrieb Tekhsnabeksport zurückzukaufen. Damit sollten internationale Bedenken ausgeräumt werden, die Iraner könnten die abgebrannten Brennelemente wieder aufbereiten und das daraus gewonnene Plutonium für den Atombombenbau verwenden. Allerdings scheiterte der vereinbarte Handel an unterschiedlichen Vorstellungen zum Kaufpreis.

Die Zeit drängt. Am 18. September forderte die Internationale Atomenergiekommission der UNO die iranische Regierung auf, bis zum 25. November 2004 ihre geplante Uran-Anreicherung „freiwillig“ einzustellen, weil sich damit ebenfalls eine Atombombe konstruieren ließe. Kommt die Führung in Teheran dieser Forderung nicht nach, werden die USA den UN-Sicherheitsrat anrufen, der dann wenige Tage später ein Wirtschaftsembargo gegen den Iran verhängen wird. Sollte die iranische Atomenergiebehörde noch Interesse an den russischen Brennelementen haben, müssten sich beide Seiten also bald einigen.

Wenn das Nukleargeschäft nicht zustande kommt und der Reaktor in Buschehr zur baufrischen Atomruine verkommt, würde dies die Ängste vor einer iranischen Atombombe aber keineswegs dämpfen. Vielmehr befürchten Experten, dass die Iraner eigene Brennelemente entwickeln, um ihre nukleare Autarkie auszubauen. In Isfahan gibt es eine dazu geeignete Fabrik, die sich bisher lediglich der Forschung widmete. Dann fehlte nur noch eine Wiederaufarbeitungsanlage, um das Waffenplutonium aus abgebrannten Brennstäben herauszulösen. Für den Fall, dass die diplomatischen Maßnahmen nicht ausreichen, drohen die USA und Israel damit, die iranischen Atomanlagen zu bombardieren. Dazu überarbeitete das Pentagon in diesem Jahr seinen Kriegsplan Oplan 1002-04, die israelischen Streitkräfte sollen seit Sommer einen eigenen Angriffsplan haben.

GERHARD PIPER

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