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„Lernen, um Fehler nicht zu wiederholen“

Pfefferspray, Fangnetz oder Elektroschock: Interessant ist, wer sich traut, welche Techniken einzusetzen – sagt Kommissar Eckhard Niebergall

taz: Eine Konferenz über weniger tödliche Waffen – ist dieser Begriff nicht ziemlich provokativ?

Eckhard Niebergall: Die Namensfindung war nicht einfach. Früher hießen sie „nicht-tödliche Waffen“, aber dann hat man erkannt, dass sie doch tödlich sein können, wenn sie nicht gut genug ausgebildeten Menschen in die Hände gegeben werden. Deshalb ist die Human Performance so wichtig: Man darf die Leute nicht nur mit den Waffen ausstatten, sondern muss sie auch kompetent machen, und zwar kognitiv und motorisch. Eine unbeabsichtigte Schussabgabe kann ja nicht nur für Unbeteiligte tödlich sein, sondern auch für Polizisten. Wir müssen deshalb so realitätsnah wie möglich trainieren. Und wir müssen Überlegungen anstellen, wie man die unbewusste Kompetenz, die höchste Stufe der Kompetenz, erreichen kann. Dabei sind psychologische und physiologische Aspekte zu berücksichtigen. Das ist eine große Herausforderung.

Was ist der Zweck dieser Konferenz? Es ist ja keine Verkaufsmesse, auf der neue technische Entwicklungen vorgestellt werden.

In den Vorträgen sind es oft Kleinigkeiten, die für uns wichtig sind. Der Spanier Juan Pablo Lasterra Antunano hat von den Fehlern erzählt, die in Spanien und Portugal gemacht worden sind. Daraus müssen wir lernen, damit wir die Fehler nicht wiederholen. Manches wird auch nicht in den Vorträgen gesagt, sondern in Privatgesprächen am Mittagstisch oder bei einer Tasse Kaffee. Diese Detailinfos setzen sich dann zu einem Mosaik zusammen. Es ist außerdem interessant zu erfahren, wer sich traut, welche Techniken zu benutzen.

Es wurde viel von Pfefferspray, von Wasserwerfern und Schlagstöcken gesprochen. Jim Clements von der Cranfield University stellte Sprengstoff als Methode vor, um möglichst schnell verschlossene Türen zu öffnen und in ein Gebäude einzudringen. Das sind doch alles alte Hüte, oder?

Das war wirklich nichts Neues. Es gibt inzwischen längst einen Sprengrahmen, der geliertes Wasser enthält und sehr schnell eingesetzt werden kann. Diese Informationen habe ich bei dem Vortrag vermisst.

Gibt es denn wirklich neuere Entwicklungen auf dem Gebiet der weniger tödlichen Waffen?

Ja, in Deutschland hat man zum Beispiel Fangnetze entwickelt, die einen Laster stoppen können, der 100 km/h schnell ist. Bisher war das nicht möglich, schon gar nicht durch Schüsse auf die Reifen.

Wie sieht denn Ihre ideale weniger tödliche Waffe aus? So wie der Phaser bei der alten Fernsehserie „Star Trek“, der Menschen immobilisierte, aber nicht die geringsten Folgeschäden hervorrief?

Der Star-Trek-Phaser ist natürlich ein Wunschtraum, so etwas wie eine Eier legende Wollmilchsau. Davon sind wir aber weit entfernt. Aber es tut sich demnächst vielleicht einiges: Die USA haben in Somalia, im Kosovo und jetzt im Irak feststellen müssen, dass es nicht damit getan ist, ein paar Granaten abzuschießen. Es geht viel mehr um polizeiliche Aufgaben. Das Militär reagiert bei Unruhen mit militärischen Mitteln. Das ist katastrophal. Die Öffentlichkeit beobachtet das kritisch, sie übt Druck aus, und deshalb werden sich die USA mit weniger tödlichen Waffen beschäftigen müssen. Das finanzielle Potenzial ist da. Ich erwarte deshalb in den nächsten Jahren einen starken Innovationsschub aus den USA.

Jeder zweite Sprecher auf der Konferenz schimpfte auf die Medien, die angeblich voreingenommen über die weniger tödlichen Waffen berichten und Todesfälle in diesem Zusammenhang groß aufmachen. Wie sehen Sie das?

Wir leben ja nicht in einer Diktatur. Die Medien haben eine zentrale Aufgabe, eine regulierende Funktion. Die Ordnungskräfte müssen in einem rechtlichen Rahmen agieren. Das erachte ich als positiv, sonst würde ich ja jetzt gar nicht mit Ihnen reden. Wir müssen fundierte, sachliche Informationen liefern sowie Offenheit und Ehrlichkeit an den Tag legen. Dann können wir auch mit der Objektivität der Medien rechnen.

RALF SOTSCHECK

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