: Grüne und SSW für Demokratie auf dem Dorf
Kleine Gemeinden in Schleswig-Holstein delegieren immer mehr Aufgaben an die Ämter. Denen fehle es aber an demokratischer Kontrolle, meinen Grüne und SSW, die deshalb vors Landesverfassungsgericht ziehen
Bei seiner jüngsten Sitzung beriet der Amtsausschuss in Mildstedt manch Putziges. Etwa, ob das Bürgermeisterpokalschießen fortgesetzt wird – ein klares Ja. Aber vor allem ging es um Dinge, die viele Menschen im nordfriesischen Amt Treene betreffen: In welchen Dörfern neue Windräder aufgestellt werden oder zu welchen Konditionen die Gemeinden Gas kaufen. Dass sich ein Amtsausschuss damit beschäftigt, könnte undemokratisch und verfassungswidrig sein – das glauben zumindest die Landtagsfraktionen der Bündnis-Grünen und der dänischen Minderheitenpartei SSW im Kieler Landtag. Sie reichten gestern Normenkontrollklage beim Landesverfassungsgericht ein mit dem Ziel, die Struktur der Ämter und Gemeinden so zu ändern, dass „die demokratischen Defizite nachhaltig behoben werden“, so Anke Spoorendonk (SSW). Dazu müssten entweder die Amtsausschüsse direkt gewählt oder die Ämter in Gemeinden verwandelt werden.
Schleswig-Holstein besteht heute aus 1.036 Gemeinden, viele davon mit nur wenigen Hundert EinwohnerInnen. Die Verwaltungsaufgaben delegieren die ehrenamtlichen Gemeinderäte an die landesweit 87 Ämter, die „Schreibstuben“ der Dörfer. Kontrolliert wird die Verwaltung durch Amtsausschüsse, in denen vor allem die BürgermeisterInnen der Amtsdörfer sitzen. Eben hier liege das Problem, meint Grünen-Fraktionschef Karl-Martin Hentschel: „Die Wirklichkeit hat nichts mehr mit der Vision der Schreibstube zu tun.“
Denn im Lauf der Zeit haben die Dörfer immer mehr Aufgaben an die Ämter übertragen, die Palette reicht von Klärschlammabfuhr bis Schulträgerschaften, wie eine Anfrage von Grünen und SSW an die Landesregierung ergab. Ein „schleichender Prozess“ sei das gewesen, so der Potsdamer Verwaltungsrechtsexperte Professor Matthias Dombert, der die Fraktionen vertritt. Seit den 1960er Jahren beäugen Juristen kritisch, ob die Lage noch verfassungsmäßig ist. Inzwischen, glaubt Dombert, sei das Verhältnis gekippt: Die Ämter erledigen Aufgaben, die nur demokratisch legitimierte Gremien übernehmen dürfen. Dabei verzerren sich auch die Mehrheitsverhältnisse: Die VertreterInnen der Mini-Dörfer können die BürgermeisterInnen der einwohnerstarken Gemeinden niederstimmen – und politisch dominieren in den Amtsausschüssen die Freien Wählergemeinschaften, CDU und SPD, da kleinere Parteien selten Bürgermeisterposten besetzen. „Kommunale Demokratie ist mehr als Bürgermeisterdemokratie“, kritisiert Anke Spoorendonk. Sie betonte, dass es jetzt vor allem darauf ankäme, den Status festzustellen.
Aber es ist kein Geheimnis, dass Grüne und SSW für eine grundlegende Verwaltungsreform mit größeren Einheiten eintreten. So skizzierten Hentschel und Spoorendonk ein Modell, mit dem die heutigen Verwaltungsämter in politische Gebietskörperschaften umgewandelt würden, mit einem direkt gewählten Gremium und einem hauptamtlichen Verwaltungschef. Die Dörfer verlören damit ihre politische Eigenständigkeit.
Dies schmeckt den anderen Fraktionen wenig: „Künstliche und zwangsweise gebildete Großgemeinden lehnen wir ab“, erklärte Klaus-Peter Puls (SPD). Auch mittelbare Entscheidungen seien demokratisch und sogar die Regel. Den Ausgang der Klage erwarte die Fraktion aber „mit Interesse“. Nicht nur sie: Die Frage nach dem Spannungsverhältnis zwischen demokratischer Mitwirkung und wirtschaftlicher Effektivität sei auch für andere Bundesländer wichtig, so Dombert.ESTHER GEISSLINGER
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