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Der extraordinäre Abend

Alle Konzentration gilt dem Moment: Ran Huber ist der umtriebigste Konzertveranstalter der Stadt. Mit seiner Agentur Am Start kümmert er sich am liebsten um bisher unentdeckte Bands und Orte

VON CHRISTOPH BRAUN

Spät in der Nacht oder doch eher früh am Morgen: Ran Huber hat mal wieder in der Kule aufgelegt, einem dieser Partyläden in der Auguststraße. Die Letzten trinken den letzten Wodka für den Nachhauseweg. Huber schlurft in seiner legendären Zimmermannshose zum DJ-Pult und legt einen alten Punkrock-Hit auf. Endlich hat er die Tanzfläche für sich. Mit absoluter Hingabe stapft er über den Boden, schüttelt und legt sich kurz hin, steht wieder auf, schüttelt sich weiter. Wenn er mit dieser Leidenschaft auch seine Konzerte veranstalten sollte, denkt man sich einen Moment lang, dann wäre man jetzt gern eine Indie-Band mit bevorstehender Show – und zwar organisiert von Ran Hubers Agentur.

Ran Huber veranstaltet seine Konzerte mit Leidenschaft, rastlos, wie besessen von der Idee des extraordinären Abends. Und das, obwohl der in Bayern geborene Mittdreißiger zunächst gar keinen Masterplan hatte, als er vor fünf Jahren anfing, die Stadt mit Musikveranstaltungen zu versorgen. Auch der Name seiner Agentur „Am Start“ lässt keine Rückschlüsse auf seine obsessive Liebe zu seinem Job zu: Er entlehnte ihn dem flockigen Sprachgebrauch eines Bekannten, der gerne so abgegriffene Sprüche wie „immer schön den Ball flach halten“ und eben auch „die sind derbe am Start“ auf die Menschheit losließ.

Doch muss es lang vor der Zeit gewesen sein, als Ran Huber mit seinem Ein-Mann-Unternehmen mit der gleichnamigen legendären Konzertreihe „Am Start“ im Maria berühmt wurde, dass er Feuer fing. Und zwar noch in der Hochzeit der Galerie Berlintokyo, irgendwann in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre, dort neben den Hackeschen Höfen, wo man heute nur noch ein asiatisches Restaurant der gehobenen Preisklasse findet. „Einmal stellte ich dort wirklich einen besonderen Abend zusammen“, erzählt er. Dabei redet er in dieser besonnenen Art, die eben zur Hyperaktivität gehört – alle Konzentration gilt dem Moment. „Es spielten Schneider TM, Lali Puna und MS John Soda. Für Schneider TM war es der erste Auftritt in Berlin und für die anderen beiden anderen Bands sogar Weltpremiere!“, freut er sich. All diese Gruppen touren mittlerweile als Indietronic-Stars um die Welt und veröffentlichen auf angesehenen Labels.

Anders als die meisten Konzertveranstalter orientiert sich Ran Huber auch heute nicht nur am Geschehen am Label-Markt. Er entdeckt Gruppen, DJs, Solo-KünstlerInnen noch vor den Firmen vom Fach, seien es Medien oder eben unabhängige Plattenfirmen. So zählt auch das Berliner Country-Duo Cowboy Kollektiv zu den Namen, die Huber durch Konzerte und Kontakte unterstützt hat – sie landeten sozusagen vom Start weg in diesem Sommer beim Trikont-Label und fahren derzeit gemeinsam mit der Radioband Paula durchs Land. Man weiß also als Band, was man an Ran Huber hat. Und auch Ran Huber verfolgt die Wege „seiner“ Leute weiter, denn es geht ihm nicht um den Markt, nicht ums Geld, sondern um die Musik. „Zeitweise war es finanziell schon ziemlich hart. Doch es hat immer irgendwie geklappt“, sagt er dazu nur ganz lässig.

Mit Sicherheit hätte sich Ran Huber längst einer größeren Agentur als Mitarbeiter andienen können, doch dafür macht ihm sein Leben, wie es ist, machen ihm die selbst organisierten Zirkel, in denen er sich immer schon bewegt hat, zu viel Spaß. Noch zu Schulzeiten sang er Ende der Achtzigerjahre in der ersten Besetzung der Weilheimer Band The Notwist, später gründete er seine eigene Band Elvis und die Beatles.

Noch in Bayern organisierte Ran Huber einen Indie-Mailorder für Musik aus Neuseeland und Osteuropa. Nach einem kurzen Aufenthalt in Köln lebte er 1993 für kurze Zeit in Berlin, wo er die Fensterbar (auch bekannt als Buegelbar) in Mitte betrieb. Es folgten ein, zwei Jahre bei einer Münchener Multimedia-Agentur, bevor Huber 1998 endgültig nach Berlin kam. Die Zimmermannshose, die er so gerne trägt, zog er aber auch hier nicht mal im übertragenen Sinne aus. Denn wenn auch die Wanderschaft seit dieser Zeit ruht, so hat Huber auch in Berlin keine Rast eingelegt.

Der Imperativ des „Immer weiter!“ ist das Einzige, was Ran Hubers Leben Kontinuität zu verleihen vermag. Und das gilt auch für Am Start. Jahrelang hat er die Flyer zu seinen Veranstaltungen persönlich in den Redaktionen vorbeigebracht. Inzwischen finden die von ihm organisierten Nächte überall in der Stadt statt, und man kann sich darauf verlassen, dass Ran Huber ständig neue, ausgefallene Orte finden wird. So beteiligte er sich Anfang September als Mitorganisator an einem Konzert im Flughafen Tempelhof, zwei Wochen darauf ließ er seine alten Freunde vom Jeans Team im ältesten Kino der Stadt auftreten.

Neben dem Drang, stets unbekannte Bands zu präsentieren, stellen auch solche unüblichen Orte ein Risiko in der Finanzkalkulation der Agentur dar. Doch irgendwie geht es immer weiter, manchmal kann Ran Huber auf Senatsgelder zurückgreifen – zurzeit leistet er sich sogar eine Halbjahrespraktikantin, die ein Maximalvolumen von ganzen sieben Konzerten im Monat mitstemmt.

Doch scheinen selbst diese vielen Konzerte den Tatkräftigen noch nicht ganz auszulasten. Neben der Organisation von Partys und Konzerten legt er regelmäßig solo als DJ Anna wie auch als Teil des DJ-Duos „Fuck You, Mitte!“ auf, außerdem ist er Redakteur für Indietronik und Alternative beim unabhängigen Radio TwenFM. Und daneben schmiedet er bereits Pläne für die Zukunft, über die er ebenfalls laut nachdenkt. Dass man zum Beispiel in Kooperation mit einem Label endlich einmal eine Am-Start-Compilation zusammenstellen sollte.

Nächste von Ran Huber organisierte Termine: The Trichter And Botanik, Do., 28. 10., 20 Uhr, Kaffee Burger; Independent-Ikone Doc Schoko feiert Record-Release-Party seiner 4-Track-Single „Tränenwölkchen“, Sa., 30. 10, 21 Uhr. Radioshow „High Society“ von Ran Huber: immer montags 20 Uhr, auf TwenFm, UKW 104,1 und DAB Weitere Infos unter: twenfm.org/

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