: Stärke des Eigenen entdecken
Eine Debatte in der Akademie der Künste dokumentiert die Suchbewegungen der Kulturpolitik. Ein Fazit: Substanzerhalt reicht nicht, neue Ziele müssen her. Ein anderes: Komm aus der Defensive, Flierl!
von KATRIN BETTINA MÜLLER
Modell MoMA, Geld ausgeben, um zu gewinnen: Peter Raue, der als Vorsitzender der Freunde der Nationalgalerie als der Initiator der so erfolgreich abgeschlossenen MoMA-Ausstellung gilt, strahlt noch immer. An ihn ging die erste Frage in der Podiumsdiskussion „Pleite oder Perspektive? Kulturstreit in Berlin“, zu der das DeutschlandRadio in die Akademie der Künste eingeladen hatte. Ernst Elitz, Intendant des DeutschlandRadios und Moderator des Abends wollte wissen: Ist das Modell MoMA nicht ein Ausweg aus der Pleite, mit privatem Geld aus der Unbeweglichkeit des öffentlichen Haushalts zu entkommen?
Eine Antwort wurde nicht gefunden, schon weil sich das MoMA-Projekt so wenig mit den real existierenden Problemfeldern der Kulturpolitik vergleichen lässt. Matthias Lilienthal, künstlerischer Leiter des Hebbel am Ufer, konnte nur abwinken, so selten sind Mäzene oder Sponsoren an dem Segment von Kultur interessiert, das er in den HAU-Theatern und im Volkspalast heute oder früher in der Volksbühne bearbeitet hat. Für Thomas Flierl, den Kultursenator, schien das Modell MoMA kein passender Deckel für den großen Topf der Probleme, auf dem außen groß „Berlin ist ein Haushaltsnotlageland“ geschrieben steht.
Das aber war der Hintergrund der Frage: Ließe sich für Berliner Kultur nicht viel mehr herausholen, schriebe man nicht „Haushaltsnotlage“, sondern etwa „attraktivster Kulturstandort Deutschlands“ außen auf den Topf. Denn der Subtext der Kritik am Kultursenator, zu der das Podium einberufen worden war, suchte eigentlich nach Ermutigung: Komm aus der Defensive, rede nicht an erster Stelle von Substanzerhalt, nutz die Stärken der Berliner Kultur mehr.
Anlass war ein Positionspapier, „Perspektiven durch Kultur“, das Thomas Flierl ausgerechnet in der Sommerpause des Senats vorgelegt hatte. Seinem ausgesprochenen Ziel aber, eine neue Debatte über den Stellenwert der Kultur für die Stadt anzuzetteln, ist er noch nicht näher gekommen. Im Gegenteil, seine Personalentscheidungen, wie die Nominierung von Christoph Hein als Intendant des Deutschen Theaters, wirken wie einsame Entschlüsse.
Die Einladung in die Akademie sollte einen Anfang bilden, darüber und über sein Positionspapier ins Gespräch zu kommen. Alice Ströver, Kulturpolitikerin der Grünen und damit in der Opposition gegenüber dem rot-roten Senat, stimmte Flierl zwar in seinen Analysen zu: dass die Strukturen der Kulturfinanzierung und die Setzung der Prioritäten zu sehr an Marken ausgerichtet sind, die aus dem alten West- und Ostberlin stammen; dass sich Berlin als Stadt noch kaum auf die eigene Identität besonnen hat und sich stattdessen hinter Hauptstadtfunktionen versteckt; und dass die Förderstrukturen viel zu wenig dem realen Potenzial der Künste, den Produktionsformen der Gegenwart und der Attraktivität der Stadt für die Künstler Rechnung tragen. „Aber das wussten wir schon alles“, sagt Alice Ströver. Wie Flierl aber den eigenen Senat agitieren will, in diesem Sinn auch Veränderungen möglich zu machen, sieht sie nicht. So zielte ihre Kritik vor allem auf seinen Mangel an Strategien. Das hat man selten: Eine Opposition, die dem Gegner eigentlich mehr Macht wünscht.
Was aber die richtige Strategie angeht, war sich auch das Podium alles andere als einig. Alice Ströver und Rüdiger Schaper, Redakteur des Tagesspiegels, hielten es zwar beide für einen Fehler, dass der Kultursenator wichtige Besetzungen, wie zum Beispiel von Intendanten, wie einen Joker aus dem Ärmel zieht. Strövers Vorstellung allerdings, die Kandidaten sollten ihr Theater-Konzept öffentlich vorstellen, damit sich die kulturinteressierte Gesellschaft an der Wahl beteiligen kann, ließ alle anderen auf dem Podium die Hände vor Entsetzen heben.
Wer also sollen die Akteure sein, die aus der Kritik am Bisherigen ein Konzept der Handlung für die Zukunft machen? Die Heterogenität der Podiumsteilnehmer, die für sehr unterschiedliche Segmente der Kultur stehen, spiegelte das Vage der bisherigen Suchbewegungen. So glaubte der Moderator Ernst Elitz die Konflikte immer beispielhaft an den großen Institutionen, wie der Opernstiftung, durchdenken zu können, bis Matthias Lilienthal ganz allmählich seinen Unmut anmeldete: Das sei ja ein Kulturbild der 70er-Jahre, gekoppelt an die repräsentativen Tanker, das hier verhandelt würde. Die wichtigen Dinge aber geschähen längst anderswo: Damit meinte er nicht nur die eigenen Theater im HAU-Komplex, sondern die vielen offenen Orte, die in Berlin immer wieder neu definiert werden. Je mehr sich Elitz um das Ansehen der Stadt sorgte, desto heftiger berlinerte Lilienthal, um sich wohl für die Hörer draußen abzuheben von den gepflegten Tönen. Die Stärke des Eigenen zu propagieren verlangt eben auch ein bisschen Lust an der Pose.
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