: Versicherungen zittern um Reserven
Bund der Versicherten klagt beim Bundesverfassungsgericht und fordert mehr Transparenz bei Lebensversicherungen
KARLSRUHE taz ■ Die Deutschen lieben Lebensversicherungen. Drei von vier Bundesbürgern besitzen mindestens eine derartige Police. Doch das Geschäft ist ziemlich undurchschaubar. Der Bund der Versicherten (BdV) hat deshalb drei Verfassungsbeschwerden initiiert, um die Transparenz und den Rechtsschutz zu verbessern. In Karlsruhe nimmt man die Klagen sehr ernst: Gestern führte das Gericht eine ganztägige Anhörung durch.
Beim Abschluss einer Lebensversicherung garantiert die Assekuranz, dass am Ende der Laufzeit oder beim vorzeitigen Tod des Versicherten eine bestimmte Summe ausbezahlt wird. Außerdem hat der Versicherte Anspruch auf eine „Überschussbeteiligung“. Der Überschuss entsteht, weil sicherheitshalber überhöhte Prämien verlangt werden. Geht bei der Anlage der Gelder alles gut, kann der Versicherte neben dem garantierten Kapital deshalb zusätzlich eine Geldsumme in ähnlich großer Höhe erhalten. Das Gesetz schreibt vor, dass den Versicherten mindestens 90 Prozent der entstehenden Überschüsse auszuzahlen sind. Tatsächlich haben die Assekuranzen in den letzten Jahren sogar rund 97 Prozent an die Versicherten verteilt. Für die Bundesregierung ist dies ein Beweis, dass das System funktioniert.
Doch der BdV ist skeptisch. „Wenn der Überschuss zu niedrig berechnet wird, ist es leicht, 97 Prozent davon auszuzahlen“, so BdV-Justitiar Joachim Bluhm. Der Verband fordert daher eine strengere Staatsaufsicht über die Versicherungen und bessere Klagemöglichkeiten der Betroffenen. Das Grundrecht auf Eigentum schütze auch den Anspruch auf Überschussbeteiligung, argumentierte BdV-Anwältin Astrid Wallrabenstein. Rechtsprofessor Dirk Ehlers, der Vertreter der Bundesregierung, warnte vor einseitigen Lösungen. „Auch die Versicherungsunternehmen und ihre Aktionäre werden vom Grundgesetz geschützt.“ Der Schutz der Versicherten sei jetzt schon „einmalig gut in dieser Wirtschaftsordnung“, fand Jörg von Fürstenwerth vom Gesamtverband der Versicherungswirtschaft. Beide verwiesen auch auf die EU und den Internationalen Währungsfonds, die eher eine Stärkung der Aktionäre forderten, sonst sei der deutsche Versicherungsmarkt für Investoren nicht interessant.
Umstritten war gestern vor allem die Behandlung stiller Reserven. Der BdV forderte, dass diese in die Berechnung der Überschüsse einfließen sollten. Die Bundesregierung hält solche „Sicherheitspuffer“ allerdings für sinnvoll. „Ohne stille Reserven wären beim zuletzt starken Fall der Aktienkurse einige Versicherungsunternehmen bankrott gegangen“, argumentierte Ehlers.
Mehrere Richter verglichen gestern die Lebensversicherung mit der neu geschaffene Riester-Rente. „Bei der Riester-Rente geben die Versicherungen viel mehr Informationen. Warum ist diese Transparenz nicht auch bei der Lebensversicherung möglich?“, fragte etwa der federführende Richter Wolfgang Hoffmann-Riem.
Das Urteil wird vermutlich Anfang nächsten Jahres verkündet. CHRISTIAN RATH
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