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steffen grimbergVerkehrte Welt

Warum regt sich „Bild“ über Tote im „Tatort“ auf? Und wieso verhöhnt die „Washington Post“ Präsident Bush?

„Der Tote hing am Fleischerhaken“ – und Bild regt sich drüber auf. Gestern gehörte dem hausgemachten Pseudo-„Skandal um Ekel-Tatort“ sogar der Spitzenplatz auf der Titelseite. Verdrängte die dort sonst stets bevorzugten Lebensbeichten mehr oder minder anstrengender Zeitgenossen (aktuell: „No Angels erzählen alles“) auf den zweitbesten Platz!

Vergangene Woche war alles noch in Ordnung: „Mein Leben mit Boris – zum 1. Mal spricht seine schöne Tänzerin“ titelte das Blatt z. B. vergangenen Donnerstag. Auch wenn Bild nur die „J. B. Kerner“-Show vom Vorabend nachbetete, die Nachricht des Tages („Terror im Irak immer blutiger – 18 Italiener zerfetzt“) fand kleiner und weiter unten statt.

Die Erkenntnis naht: Jetzt macht Bild in Medienpolitik: „Und für so was sollen wir noch höhere TV-Gebühren zahlen“, empört sich der kleine Mann von der Straße, aka Bild-Autor Norbert Bogdon. Und tief im Blatt („Warum die Blutorgie im Familienprogramm?“) haben dann die Programmspezialisten das Wort: Der FDP-Youngster Rainer Brüderle (58) kann mit „Verbotene Liebe“ und „Marienhof“ nichts anfangen: „Dafür ist (…) das Geld einfach zu schade.“ Und unser Lieblingsmedienpolitiker Markus Söder (CSU) sagt, wo ARD und ZDF die Milliarden hinblasen sollen: in „Premiumformate“ wie – ahem – „Wetten, dass …“. Dafür spricht nun in der Tat etwas, schließlich will das Zweite ja künftig auf zwielichtige Werbezusatzsponsoringerschleichung verzichten (taz berichtete).

Auch die Washington Post regt sich auf. Nein, nicht über den „Tatort“. Sondern über ein Interview, das US-Präsident George Bush zur Einstimmung auf seinen heute beginnenden Staatsbesuch in Großbritannien einer britischen Zeitung gab. Denn Bush wählte ausgerechnet die Sun. Schließlich hatte – anders als die Post – Rupert Murdochs Massenblatt den Präsidenten in Sachen Irak uneingeschränkt unterstützt – und liest sich auch weiterhin so („Bush’s message to Sun readers: Your troups did not die in vain“). Dummerweise hat die Sun aber auch die Angewohnheit, auf ihrer Seite 3 spärlich bekleidete Damen abzubilden. „Bush goes downmarket“, höhnte die Washington Post.

In der Tat. Der einzige US-Präsident, der vor Bush jemals offiziell zum Staatsbesuch gen London reiste, war vor 85 Jahren Woodrow Wilson. Auch Wilson ließ sich mit einer britischen Zeitung ein: dem linksliberalen Guardian, der anders als die meisten amerikanischen Blätter inklusive Washington Post den US-Präsidenten uneingeschränkt unterstützte – beim Ringen um einen Friedensvertrag nach dem Ersten Weltkrieg und eine internationale Organisation, die künftige Kriege verhindern sollte.

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