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Die Spannung steigt

Heute Nacht wird der US-Präsident gewählt. Und auch wenn wir es erwarten, weil wir so lange auf das Ergebnis gewartet haben: Es wird danach kein Orkan ausbrechen und auch keine Revolution

VON STEFAN KUZMANY

Gibt es tatsächlich eine bis vor kurzem geheime Liste von afroamerikanischen WählerInnen in Florida, die von den Republikanern mit Einschüchterungen an der Stimmabgabe gehindert werden sollen? Hat Ussama Bin Laden in seiner jüngsten Videobotschaft geheime Anweisungen an seine Terrorschergen versteckt?

Was wird aus uns?

Welchen Einfluss hat der von den Amerikanern im Irak verschlampte Sprengstoff auf den Ausgang der Präsidentschaftswahl? Würde Deutschland mit einem Präsidenten John Kerry besser fahren, weil der vielleicht mit Gerhard Schröder telefonieren würde, bevor er seine Armee in ein fremdes Land einmarschieren lässt? Oder waren wir mit George W. Bush eigentlich nicht so schlecht dran – weil er uns ein schönes Feindbild ist und Rot-Grün die Wahl gerettet hat?

Kaffee, Decke, TV-Gerät

In den letzten Tagen wurden Horden von Säuen durch die Dörfer getrieben. Und wir sind jeder Sau hinterhergelaufen. Haben uns in die Finessen der US-Wahlkampffinanzierung eingearbeitet und versucht zu verstehen, was Wahlmänner sind und was „swing states“.

Heute Abend werden wir uns eine große Kanne Kaffee aufbrühen, uns in eine warme Decke hüllen und am Fernsehgerät ausharren, bis – ja, bis was eigentlich passiert?

Es müsste doch etwas ganz Besonderes sein, das unsere übergroße Erwartungshaltung befriedigen könnte. Es müsste schon ein Sieger vor die Kameras treten, der ankündigt, die amerikanischen Truppen demnächst aus dem Irak abzuziehen. Beziehungsweise ein Sieger, der davon spricht, demnächst die iranischen Bestrebungen nach Atomwaffen per militärische Intervention zu beenden. Es müsste mit einem Schlag wieder Frühling werden, die Natur sich von aller Umweltzerstörung erholen und der Graben zwischen Arm und Reich zugeschüttet sein. Oder ein Orkan ausbrechen und/oder eine Revolution.

Selbstverständlich wird nichts davon geschehen. Weder die globalen Machtverhältnisse werden sich grundlegend verändern noch unser Alltag.

Gewöhnen wir uns besser schon einmal daran: Wer heute arbeitslos ist, wird es leider wohl auch morgen sein. Und alle anderen müssen morgen wieder früh raus.

Bush gewinnt. Oder Kerry

„Hype“, zu Deutsch Medienrummel, bezeichnet ein von den Medien aufgebauschtes Thema, das nicht wirklich jene große Bedeutung für unser Leben hat, die uns mit der überbordenden Berichterstattung suggeriert wird.

Heute Nacht wird George W. Bush wieder gewählt. Oder John Kerry löst ihn ab. Mehr nicht. Die Präsidentenwahl ist ein Hype.

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