: Triumph der Goldkante
Nothing’s gonna change my world? Das letzte Beatles-Album gibt es neu abgemischt – „Let it be … naked“. Paul ist der Drahtzieher. Die Direktoren John und George sind ja bei diesem Director’s Cut nicht mehr dabei. Stellt sich die Frage: Back-to-the-roots-Programm oder doch eher feindliche Übernahme?
von HARALD FRICKE
Als hätte er nicht Ärger genug am Hals. In den USA ist sein Prozess auf den 8. Januar verschoben worden, bis dahin ist der Musikproduzent Phil Spector auf Kaution frei. Ob er wirklich ein Playmate erschossen hat, weiß keiner, aber sein Stern ist durch den Verdacht erheblich gesunken. Wer möchte schon gerne mit einem Maniac ins Studio? Und nun, sechs Wochen vor seinem 63. Geburtstag, muss sich Phil Spector als der Mann, der die letzte Platte der Beatles versaut hat, vorführen lassen. Seit Montag kann alle Welt hören, wie „Let it be“ geklungen hätte, wäre Spector nicht mit flirrenden Streichern und pastoralen Chören über die Songs hergefallen. Die Lizenz zum Beatles-Kill hatte er zwar von John Lennon höchstpersönlich, aber den kann ja niemand mehr zur Verantwortung ziehen. Und Spector selbst mag auch keiner nach dem Tathergang fragen, aus Angst vor seinem Revolver.
Bleibt Beatle Paul als Drahtzieher hinter der Neuveröffentlichung von „Let it be … naked“. Der hat, so liest sich derzeit die Legende in zig Musikmagazinen, vor ein paar Monaten 33 Bänder der „Get Back“-Sessions aus dem Januar 1969 bei Allan Rouse abgeliefert. Der Toningenieur sollte das Material durchforsten, die einzelnen Spuren säubern und neu abmischen – und vor allem endlich das Orchester rausschmeißen, über das McCartney sich bereits vor Erscheinen der Originalplatte aufgeregt hatte. Wäre es nach ihm gegangen, dann hätte er die Band gleich Anfang 1970 aufgelöst, als er angeblich zum ersten Mal hörte, wie „The long and winding road“ mit einem Wall of Streichern klang.
Vermutlich war McCartney da aber schon zu sehr mit seinem Solo-Album beschäftigt, Kollege Lennon kommentierte das Ergebnis von Spectors Producer-Fähigkeiten bloß damit, dass er „nicht kotzen musste“ beim Hören. „Let it be“ erschien im Mai 1970 und wurde von den Medien als schlechtestes Beatles-Album überhaupt verrissen. Die Enttäuschung war auch deswegen groß, weil die Band sich einen Monat zuvor offiziell getrennt hatte – nun saß man vor einem Nachklapp aus Ton, Kitsch und Scherben. Den vier Musikern bekam das Ende gut: Harrison ließ sich einen Gartenzwergbart wachsen, McCartney züchtete Schafe, Ringo ging nach Hollywood und Lennon konnte seine Villa neu streichen für den Filmclip zu „Imagine“. Britpop had left the building.
Oder war es doch ganz anders? Die neue, entschlackte Fassung von „Let it be“ will mehr sein als eine Ehrenrettung. Sie ist der Versuch, die Band nachträglich mit fettest abgemischtem, aber stets trockenem Minimalsound auf Linie auch mit aktuellen Entwicklungen zu bringen – ist „I’ve got a feeling“ nicht der Blueprint für den Garagenlärm der White Stripes und Co? Schon damals soll McCartney sich bemüht haben, die Beatles auf das Normalmaß einer Rock-’n’-Roll-Kombo zurückzustutzen, die womöglich sogar wieder live auftreten würde. Deshalb entstand parallel zu „Let it be“ eine Filmdokumentation, bei der die Beatles auf dem Studiodach in der Londoner Savile Row im Winterfrost „Get back“ spielten, bis die Polizei kam. Die Formel hieß: sauberes 4/4-Getrommel, punktierter Bass, hier und da eine Grätsche auf der Gitarre, ansonsten noch Gesang und etwas Gospelorgel von Billy Preston. Kein psychedelischer Schnickschnack, keine Zaubergeigerraffinessen, kein Echoquatsch und auch kein indisches Geflöte.
Vor allem aber – weniger Lennon. Schließlich dürfte er in der Endphase der Beatles nur schwer zu ertragen gewesen sein: Dauernd auf Drogen oder mit Yoko Ono beschäftigt, das muss ziemlich genervt haben bei der Arbeit. Auf der 1970 erschienen LP gibt Lennon ständig abfällige Kommentare von sich oder albert in den Abspann der Stücke hinein. Dafür kamen von ihm tolle Songschnipsel wie „Dig it“, auf dem er FBI, CIA und Doris Day beschimpft. Oder das betrunkene Singalong „Maggie Mae“. Nun sind die bewusst als Fragment gedachten Stücke gestrichen, stattdessen wurde „Don’t let me down“ hinzugenommen, mit Lennon als liebeskrankem Onoisten. „Across the Universe“ hat den Relaunch zwar überstanden, aber es hört sich ohne Mönchschöre und bekifft eiernde Disney-Streicher an, als wäre Lennon für den Mitschnitt auf Entzug gegangen. „Jay guru deva, OM“? – Du mich auch, alter Klosterbruder.
Bei seinen eigenen Songs hat McCartney allerdings auf die Goldkante geachtet. „Let it be“ und „The long and winding road“ bestätigen ihn in der Neuauflage als den großen Gala-Sänger und Komponisten, der er so gerne schon zu Beatles-Zeiten gewesen wäre, hätte ihm nicht Lennon in die hübschen Gesangslinien gequakt. Jetzt endlich hört man, wie er jeden Ton lehrbuchmäßig aussingt: ein strebsamer Siebenundzwanzigjähriger, der es noch weit bringen sollte, bis zum Titeltrack für James Bond. Zugleich stellt man einigermaßen betrübt fest, dass bei „Let it be“ auf die herzergreifend sägende Gitarre von George Harrison verzichtet wurde, um Maccas Stimme besser zur Geltung zu bringen.
In solchen Momenten kommen einem Zweifel an dem Unternehmen Beatles 2003. Ist „Let it be … naked“ tatsächlich ein Back-to-the-Roots-Programm? Oder nicht doch eine späte, nein, feindliche Übernahme durch Old Paul, perfekt im Timing, kurz vor Weihnachten? Schließlich ist ihm die Deutungshoheit längst gewiss, letztes Frühjahr hat McCartney beim Medley auf seiner Live-CD den Namen von Lennon bereits an die zweite Stelle gesetzt. Überhaupt ist das Gerede von einer kompletten Überarbeitung im Geiste der authentisch rockenden Ur-Beatle-Horde völliger Blödsinn, da bis auf die drei, vier Stücke im Spector-Stil alles beim Alten geblieben ist – ein bisschen ziellos zwischen Woodstock und Top of the Pops treibende Musik der späten Sechziger. Zu bieder für Stones-Fans, zu wenig Solos für Hardrocker, zu kurze Stücke für LSD-Astronauten und zu unschwul für den beginnenden Glam.
Wenn „Let it be … naked“ trotzdem für etwas steht, dann ist es der Wille zum Aufrechten. Offenbar hätten sich eine Menge Fans ihre Beatles selbst im Scheitern nicht als verkrachten Haufen aus Egotrippern gewünscht, sondern irgendwie besser, zumindest rau und ungeschminkt, in diese Richtung geht jedenfalls die doch erstaunlich große Begeisterung für das reanimierte Abschiedsalbum. Dabei ist gerade die Nachbesserung offenkundig ein Verstoß gegen das Reinheitsgebot: das gemachte Handgemachte. Echt ist das nicht. Ein Director’s Cut, bei dem mit Lennon und Harrison die Hälfte der Direktoren tot ist. Ein Triumph über den Produzenten, bei dem trotzdem niemand am Produkt rütteln darf. Aber den Beetle gibt es ja auch wieder, seit sechs Jahren, mit mehr PS.
The Beatles: „Let it be … naked“ (EMI)
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