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Wendländisches Tagebuch (5): Freitag, 5. 11. 2004Familien-Erbstück

Familie Zitterbart aus Gedelitz wohnt drei Kilometer vom Zwischenlager Gorleben entfernt. Der Atommüll-Zug, der nächste Woche eintreffen soll, bringt auch ihren Alltag durcheinander. Ein Tagebuch, heute von Uwe Zitterbart, Möbeldesigner

Unsere ältere Tochter war ja auf der Schülerdemo in Lüchow: Es ist ihr nichts passiert, zum Glück, wir haben kurz miteinander telefoniert. Sie hat erzählt, dass Jugendliche von allen möglichen Schulen da waren, und dass sie durch Lüchow gezogen sind bis zur Polizeikaserne, die etwas außerhalb der Stadt liegt.

Was ein bisschen witzig war: Als wir sie heute morgen hingebracht haben, hat sie meine Frau gefragt, ob sie vielleicht noch einen Protest-Button hätte, für den Rucksack. Meine Frau hat also in ihrer Tasche gesucht – und tatsächlich einen Anstecker gefunden. Den hat sie bei ihrer ersten Gorleben-Demo getragen, vor 27 Jahren, das war damals der Track nach Hannover. Sie stammt ja von hier, ich selbst komme aus Süddeutschland.

Dass mittlerweile die dritte Protest-Generation heranwächst, merkt man hier ohnehin: In der Schule setzen sich die Kinder verstärkt mit dem Thema auseinander. In Hitzacker haben sie zum Beispiel so eine Pinnwand, an die ganz viele Zettel mit Überschriften geheftet sind, etwa die Frage: „Was denkst du, wenn du die ganze Polizei hier siehst?“

Und die Schüler können dazu dann etwas schreiben. Wenn man das so liest, kommen einem manchmal schon die Tränen. Da steht dann beispielsweise: „Dass sich erwachsene Menschen so lächerlich benehmen können …!“ Und es stimmt ja: Diese schreckliche Wichtigtuerei, Lüchow ist voll mit Polizisten, Dannenberg auch, und ständig diese Hubschrauber.

Ich sage manchmal, das ist bei uns die fünfte Jahreszeit – wenn anderswo die Blätter fallen, wird es bei uns noch einmal richtig grün. PROTOKOLL: BES

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